"Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern"
Die schriftliche Predigt für den 19. Sonntag nach Trinitatis das ist der 18. Oktober 2020 - kommt von Diakonin Petra Stöckmann-Kothen, die im Gemeindeverband Neppendorf lebt und wirkt sowie im Hermannstädter Dr.-Carl-Wolff-Heim arbeitet. Sie befaßt sich in ihrer Predigt mit Epheser 4, 22 – 32.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Das Bibelwort steht im Epheserbrief im 4. Kapitel:
22 Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet. 23 Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn 24 und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit. 25 Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. 26 Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen 27 und gebt nicht Raum dem Teufel. 28 Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann. 29 Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Gnade bringe denen, die es hören. 30 Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung. 31 Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. 32 Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.
Der Herr segne sein Wort an unseren Herzen. Amen.
Liebe Gemeinde,
der Text fordert uns heraus und man weiß gar nicht, wo man beginnen soll. Man muss ihn lange kauen, sonst liegt er uns schwer im Magen, denn auf den ersten Blick sehen wir Anweisungen und Verhaltensrichtlinien. Aber nach dem guten Kauen und der intensiven Betrachtung werden wir sehen: Er wird süß und hat viel Heilendes, Guttuendes in sich und ist darum rundum hilfreich für unseren Alltag, unser Zusammenleben. Und – wie auch letzte Woche – letztendlich kommt es uns allen zugut, wenn wir uns auf ihn ausrichten, wenn wir versuchen, nach ihm unser Leben zu leben! Auch diese Anweisungen des Paulus sind nicht weit von uns entfernt, wie von einem anderen Stern, sie sind greifbar nahe und helfen uns im Leben als Gemeinschaft. Aber – wie auch letzte Woche – es ist unsere Wahl, wir werden dazu eingeladen, es ist eine freiwillige Entscheidung, so miteinander umzugehen oder nicht, es gibt keinen Zwang oder drohenden Hinweis auf Strafe. Gott lässt uns die eigene Entscheidung, aber wenn wir diesen Anweisungen folgen, verspricht er uns ein gutes Miteinander und den Eintritt in die Ewigkeit.
Paulus benutz hier ein Alltagsbild, damit wir uns die Folgen unserer Umkehr zu Gott gut vorstellen können. Er vergleicht diesen Schritt mit dem Wechsel der Kleidung. Den alten Menschen ablegen, einen neuen Menschen anziehen. Dieses Bild ist banal, aber sehr leicht zu übertragen: So wie wir jeden Morgen das Schlafhemd ausziehen, um die Kleider für den Tag anzulegen, so müssen wir uns auch jeden Tag dazu entscheiden, heute den Worten Gottes Folge zu leisten.
Wenn wir uns nun also diese frischen Kleider angezogen haben, können wir fröhlich unseren Tag beginnen. Dann werden wir miteinander ehrlich umgehen, wir werden keine Lügen verbreiten müssen, sondern Gutes und Mutmachendes zum Nachbarn sagen. Wir brauchen auch keine Halbwahrheiten – heute heißt das Fakenews, also verdrehte oder geschönte Wahrheiten – verbreiten, die zum Schaden unseres Nächsten sein werden, sondern uns immer wieder gut überlegen, was wir wie und wann sagen. Worte haben große Macht, sie können vernichtend sein oder aber zum guten Leben helfen. Vielleicht stellen wir folgende Fragen: ist das wahr, was ich sagen will? Ist es wichtig, dass ich es sage? Nicht alles, was wahr ist, muss man sagen! Ist es hilfreich für den, dem ich es sage? Zeigt sich darin meine Liebe zum Nächsten und zu Gott?
Wenn ich diese Fragen bedenke, ehe ich rede und was erzähle, dann wird deutlich, dass ich ein Kind Gottes bin, dass ich den neuen Menschen angezogen habe.
Und auf ein weiteres kommt Paulus hier zu sprechen: wir sollen nicht mehr stehlen. Im ersten Moment werdet ihr nun sagen, ihr seid doch kein Dieb. Ihr nehmt dem Nachbarn keine wertvollen Dinge weg, ihr seid noch nicht irgendwo eingebrochen. Das glaube ich auch und will es auch nicht anklagen. Es kann aber nicht schaden, auch diesen Punkt in meinem Alltag gut zu überdenken. Wie gehe ich mit Allgemeingütern um? Wenn ich meinen Müll einfach wegwerfe, wenn ich Wasser und Energie verschleudere, dann stehle ich der nächsten Generation Lebensqualität, auch eine Art von Diebstahl. Mir ist in der Überlegung noch etwas in den Sinn gekommen, was man im allgemein hier in Rumänien so macht. Und zwar der Umgang mit Brot und auch anderen Lebensmitteln. Besonders beim Brot nimmt man sich, isst ein wenig, zerkrümelt es gerne und der Rest kommt weg. Ok, er kommt vielleicht in einen Schweineeimer. Aber das Brot wurde doch nicht für den Schweineeimer vorbereitet und gebacken, sondern dafür, dass ihr es am Tisch habt. Ich habe das Brot als Beispiel genommen, weil mir der Umgang mit dem Brot hier in Siebenbürgen so besonders aufgefallen ist, mich auch am stärksten schmerzt, denn ich liebe Brot! Es ist für Schweine dazu nicht wichtig, gebackenes zu fressen. Brot backt sich nicht von allein, wer einmal selbst Brot gebacken hat, weiß, welche Arbeit dahintersteckt, was es an Energie braucht und auch an anderen Zutaten, die sonst „vor die Schweine“ geworfen werden! – ein persönliches Beispiel.
Paulus führt hier dann als Gegenstück auf, dass wir ehrlicher Arbeit nachgehen sollen, nicht auf Kosten anderer leben, sondern uns selbst ehrlich versorgen und dann anderen abgeben, die in Not geraten sind.
Wir sehen, es ist täglich an uns, uns dazu zu entscheiden, unseren Umgang mit unserem Nächsten nach Gottes Willen auszurichten. Damit erkennen dann andere, dass wir zu Gott gehören, dass wir mit Gott leben wollen, dass wir Kinder Gottes sind.
Und wenn wir es dann einmal doch nicht schaffen? Dann können wir am Abend, wenn wir unsere Kleider ablegen und das Schlafhemd wieder anziehen, Gott das alte Kleid hinlegen. Dann können wir Gott alles abgeben, was nicht so gelungen ist, und ihn um Vergebung bitten. Und wenn wir mit unserem Nachbarn am Tage einen Zwist hatten, dann sollten wir auch zu ihm gehen, ehe die Sonne untergeht, ihn um Vergebung bitten – und genauso ihm vergeben – um Jesus Willen! „…und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.“ Oder die Bitte aus dem Vaterunser: Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Damit wir dieses große Geschenk nicht vergessen und damit dieser Text gut in unserem Herzen Wurzeln schlägt, lese wir ihn noch einmal in einer anderen Übersetzung:
„Ihr sollt euer altes Leben wie alte Kleider ablegen. Folgt nicht mehr euren Leidenschaften, die euch in die Irre führen und euch zerstören. Lasst euch in eurem Denken verändern und euch innerlich ganz neu ausrichten. Zieht das neue Leben an, wie ihr neue Kleider anzieht. Ihr seid nun zu neuen Menschen geworden, die Gott selbst nach seinem Bild geschaffen hat. Jeder soll erkennen, dass ihr jetzt zu Gott gehört und so lebt, wie es ihm gefällt. Belügt einander also nicht länger, sondern sagt die Wahrheit. Wir sind doch als Christen die Glieder eines Leibes, der Gemeinde von Jesus. Wenn ihr zornig seid, dann ladet nicht Schuld auf euch, indem ihr unversöhnlich bleibt. Lasst die Sonne nicht untergehen, ohne dass ihr einander vergeben habt. Gebt dem Teufel keine Gelegenheit, Unfrieden zu stiften. Wer bisher von Diebstahl lebte, der soll sich jetzt eine ehrliche Arbeit suchen, damit er auch noch Notleidenden helfen kann. Redet nicht schlecht voneinander, sondern habt ein gutes Wort für jeden, der es braucht. Was ihr sagt, soll hilfreich und ermutigend sein, eine Wohltat für alle. Tut nichts, was den Heiligen Geist traurig macht. Als Gott ihn euch schenkte, hat er euch sein Siegel aufgedrückt. Er ist doch euer Bürge dafür, dass der Tag der Erlösung kommt. Mit Bitterkeit, Wutausbrüchen und Zorn sollt ihr nichts mehr zu tun haben. Schreit einander nicht an, redet nicht schlecht über andere und vermeidet jede Feindseligkeit. Seid vielmehr freundlich und barmherzig und vergebt einander, so wie Gott euch durch Jesus Christus vergeben hat.“
Amen.