30 Jahre Frauenordination in der EKR. Persönliche Marginalien


Theatermacherin (Bild: zVg)

Als ich noch ein Kind war, versammelte ich sonntags nach dem Kirchgang mit meinen Großeltern in deren Küche alle meine Plüschtierchen im Halbkreis, stellte mich auf meinen Schemel und wandte mich mit dem Satz „Ich muss jetzt predigen‟ an meine stumm lauschenden Zuhörer, meine versammelte Gemeinde. In meiner Erinnerung war mir damals eigenartig zumute ganz so, als würde es sich für mich als Mädchen nicht gehören auf erhöhter Stelle – und sei die bloß mein Kinderschemel – vor einer auch nur imaginären Gemeinde zu stehen und zu predigen - selbst wenn das nur kindisches Nachplappern aber immerhin eine Form des Reflektierens gewesen sein konnte; andererseits schien es mir ein innerer Drang, ein Bedürfnis, gar eine Notwendigkeit gewesen zu sein, mich predigend zu äußern. Mein sachlich nüchterner Großvater mit seinem verschmitzten Humor muss sich damals in den Schnurrbart geschmunzelt haben und meine Omi war sicher hochbegeistert von meiner Darbietung ebenso wie meine Plüschtierchen tief beeindruckt gewesen sein mussten. Sie haben es natürlich weitererzählt, denn sooft ich im späteren Leben zu den unterschiedlichsten Themen Sermone zu halten begann, pflegte meine Mama mit einem leisen Anflug von Ironie zu sagen: „Ach ja, du musst schon wieder predigen!‟

Ich habe nicht Theologie studiert. Dafür haben mich Literatur und Theater in ihren Bann gezogen und mir eine  andere Art von Kanzel geboten. Immerhin haben Lehrer, Theatermacher und Theologen etwas Grundlegendes gemeinsam: Sie wirken von ihren mehr oder weniger erhöhten Arbeitsplätzen performativ auf andere Menschen ein und können unter Umständen durch kompetente Ausdauer und mit etwas Geschick oder gar Glück Veränderungen in ihrem Umfeld hervorrufen oder wenigstens anregen. Also wurden Katheder und Bühne später mein Podium, meine weltliche Kanzel sozusagen. Und irgendwann im Verlauf ehrenamtlichen Engagements für Gemeinde und Kirche nahm ich mir die Freiheit auch die hohe Kanzel zu besteigen. Ich tat das als Leiterin meines interkonfessionellen und intergenerativen Spielensembles Interludium (ca. 2010-2013/14 in Bartholomä aktiv), mit dem ich mehrere Weihnachts- und Auferstehungsspiele inszeniert habe. Ich muss zugeben: Man sah Solches hier nicht immer mit Wohlwollen oder Verständnis. So als stünde es mir als Frau nicht zu, zumal ich keinen um Erlaubnis gebeten und aus eigenem Antrieb die hohe Warthe bezogen hatte... Man muss sich als Frau gerade in der Kirche manches trauen, sich nicht verbiegen, nicht einschüchtern lassen, man...was sage ich?! frau muss zum eigenen Selbst stehen, als Frau agieren, reflektieren und für sich sprechen. Das bedeutet Emanzipation und Fortschritt für unsere Kirche. Das konterkariert patriarchalische Strukturen. Das verhilft der Kirche zu neuen Kommunikationsformen, die unserer postmodernen, stark zerrütteten Zeit entsprechen und wünschenswerter Weise Alternativen versprechen.

Der weibliche Diskurs von der Kanzel, vor dem Altar und in die Gemeinden hinein kann der Schlüssel zu einer Wende sein. In diesem Sinne widme ich die nachfolgenden Gedichte allen ordinierten und nicht ordinierten Frauen der EKR, die beherzt und engagiert in Amt und Ehrenamt ihre Frau zu stehen wissen!

Ein Gott auf offener Flur
        
Er hängt am Kreuz,
das fest in karger Hügelerde steckt,
und seine Arme deuten seitlich ausgestreckt
nach West, nach Ost.
Gern würde er die Arme
an den Körper holen,
sie einfach hängen lassen,
dann würden sie weniger schmerzen
und er könnte auch
die Blöße seiner Lenden
verbergen.
Auf offener Flur
bewegt sich nur der Wind,
er treibt die Wolken tief
und wirbelt Krähen durcheinander,
leicht wie in schwarzer Tinte getränkte Papierfetzen.

Der Gott am Kreuz träumt
den Traum vom Schierlingsbecher,
der an ihm vorüberzieht
und
dass er sich auf den Weg macht,
unbeschwert und aller Verantwortung entledigt
und nicht als Opfer
und dass er auch so
den begehrten Platz
in den obersten Rängen bekommt.
Und mitten im Traum verliert er sich
in bergender Umarmung,
dass sein Körper andere Körper spürt
und darin aufgeht: lustvoll schmerzlos.

Auf  offener Flur steckt das Kreuz
tief in karger Hügelerde
und der Gott daran hat sich
im Tod längst festgefroren.
Sein verträumtes Lächeln
legt sich wie ein Tuch über die weite Flur,
wie eine leichte Frauenhand.

Heiligabend
    
Kein hoher Dom,
keine weite Flur,
kein Ton,
kein Mensch im Lichtflimmer
der Sterne, die
vor Ewigkeiten ihren
Schein ausgehaucht haben.

Es raschelt irgendwo das Rohr vom
Wind bewegt wie von Geisterhand
und Schatten streichen über die Wände,
über die Körper, derer sich kaum einer erinnert,
denn
was da liegt und sich erhebt, ist
fast schon verjährt, verhärtet, verdorrt, verderbt
vergessen,
in alten Schuhkartons eingemottet.

Lediglich der Geschmack von Pfeffer und Zimt
haftet den Lippen an, wenn man sie küsst.

Allerheiligen (2023)

Heute ist Feiertag, sagst du
mir in aller Herrgotts Frühe,
während deine Stimme noch etwas rau ist von dem Schlaf.
Ein Festtag für die Seele, sagst du noch,
nachdem du dich mit abgewendetem Kopf räusperst,
der Gang zum Friedhof lohnt sich,
man sieht sich selbst, wie man war und wie man wird
und schätzt das Sein im Jetzt, fügst du noch hinzu.

Zum Frühstück nachher gibt es Rührei.

Am Nachmittag fegt der Wind am Friedhof durchs Blätterwerk
und krallt sich an mich fest wie eine streunende Katze,
die mich um etwas anbettelt, das ich nicht habe
und  
ich beuge mich zu meinen Füßen hinunter,
als wäre tatsächlich eine Katze da,
die ich gern berührte.
Da ist nichts und wird nichts sein,
das sehe ich,
und in den Ästen pfeift  es
und legt sich mir auf den Rücken
als wäre es deine Hand, die mich hält und streichelt.

Heute ist Feiertag:
Der Festtag aller Heiligen spielt mir am Friedhof einen Streich.

Carmen Elisabeth Puchianu

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Prof. em. Dr. Carmen Elisabeth Puchianu ist 1956 in Kronstadt/Braşov/Brassó (Rumänien) geboren. Sie ist dreisprachig aufgewachsen (deutsch, ungarisch, rumänisch) und wurde deutsch-evangelisch erzogen. Sie besuchte das Honterusgymnasium und studierte anschließend Anglistik und Germanistik an der Bukarester Universität. Sie wurde  Englischlehrerin an einer Dorfschule in rein rumänischer Umgebung (Filipeşti de Târg, Kreis Prahova), dann Englisch-, später Deutschlehrerin an der Honterusschule in Kronstadt, wechselte dann an die Transilvania Universität, Kronstadt, wo sie als Professorin für Deutsche Literatur wirkte. Sie ist freischaffend Verfasserin von Lyrik und Prosa, Theatermacherin. Als weltliches Mitglied in der LKV und im BK Kronstadt bringt sie sich in die Leitung der EKR auf verschiedenen Ebenen ein.

Reihe: Autorinnen und Autoren schreiben im "Jahr des 30 jährigen Ordinationsjubiläums von Frauen"