Begnadete Influenzerinnen


Susanna Lorántfy (l.) und Berta Schiel (Bild: zVg)

Seit 2016 hängt bei uns im Haus, an gut sichtbarer Stelle, ein immerwährender Geburtstagskalender, den die Frauen aus dem damaligen Vorstand der Evangelischen Frauenarbeit der evangelischen Landeskirche Rumäniens herausgegeben haben. Jedem Monat ordneten sie jeweils eine Frau ihrer Wahl zu. Für uns ist dieser Geburtstagskalender zu einem vertrauten und genügsamen Zeit- und Personenbegleiter geworden. Seither kam es hin und wieder dazu, den Textteil mit dem Foto des Monats der oberhalb der Tabellenübersicht angeboten wird, bewusst zu betrachten. Die verstärkte Erkenntnis, dass auch einzelne Frauen belegbar an der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte gemeißelt haben, ist eine Nachwendeentwicklung, also ab der Jahre 1990. Drei Frauen aus dem Geburtstagskalender ist dieser Beitrag gewidmet.

Sie haben, im weitesten Sinne, etwas gemeinsam: Ohne amtliche Berufung für ihr öffentliches Wirken, handelten sie, echt protestantisch, aus ihrem Glauben heraus. Sie konnten gar nicht anders.   
Die Frauen, denen wir im Beitrag begegnen, gehören ganz verschiedenen Epochen an. Meine Fragen an sie, werden von einem kurzen einleitenden Text begleitet.

Begegnung mit Apollonia Hirscher im Kronstadt der Hälfe des 16. Jhdts. Es ist nur ihr Todesdatum (1547) bekannt.

„Wie hat man Sie angesprochen? Frau Stadtrichter-Gemahlin? Frau Hirscherin?“

Sie sind eine große Frau der Reformation in Siebenbürgen. „Sind sie Johannes Honterus persönlich begegnet?“

Lesen wir in „Johannes Honterus' ausgewählte Schriften“: „Wo aber geschickte menner abgehen, mögen gut vnterrichte weiber oder amptsfrawen in solcher not die kind tauff reichen.“ über den Einsatz der Frauen bei Nottaufen, so spüren wir die damalige Umgangssprache.

„Frau Hirscher, wie klang ihre Herzenssprache im privaten Leben? Es war doch sicher nicht die Urkundensprache von Johannes Honterus – ein Hochdeutsch des XVI. Jahrhunderts? Haben Sie sich vielleicht mit Ihrem Mann und Ihrer Tochter im vertraulichen kronstädter Patrizier-Sächsisch verständigt?“

Martin Luther hat 1535 in Wittenberg ein geordnetes Ordinationsverfahren mit Gebet und Handauflegung eingeführt. Honterus wurde 1944 zum Stadtpfarrer von Kronstadt vom Stadtrat eingesetzt. „Was wäre im Gemeindeleben anders gelaufen, wenn Euer Stadtpfarrer, Johannes Honterus, außerdem ordiniert worden wäre?“

1543 erschien in Kronstadt das erste evangelische – zugleich das älteste erhaltene deutsche – Gesangbuch Siebenbürgens. „Sie – eine gläubige und tugendsame Zeitgenossin Honterus´ haben vielleicht daraus gesungen?“ Natürlich, man musste lesen und schreiben können, um das neue Buch nutzen zu können. Aber das konnten Sie sicher. Auch Rechnen. Sonst hätten Sie nicht eine besonders begabte Kauffrau im Handel von Messern, Wachs, Tuch, Immobilien sein können. Als große Wohltäterin sind Sie in die Geschichte Kronstadts eingegangen. Das war lebendige Umsetzung der Reformationsgedanken, einer Wendezeit im kirchlichen Leben Kronstadts. Die Sie gerade lebten.

Begegnung mit Susanna Lorántfy, (Lorántffy Szuszanna) vielleicht in der Burg von Fogarasch, der ersten Hälfte des 17. Jhdts (1600- 1660).

Als Ehefrau von Georg I. Rákóczi, Prinz des Fürstentums Siebenbürgen, sind Sie, Ihrem Stand nach, Prinzessin.

„Kegyelmes Asszony, (Gnädige Dame) Lorántffy Szuszanna, Ihre Umgangssprache war wahrscheinlich Ungarisch?“

Sie waren überzeugte Calvinistin. War es nicht schwierig als wohlhabende Aristokratin in der Burg von Fogarasch diesen neuen, protestantischen Geist zu beheimaten? Und das auch in seiner engeren und weiteren Umgebung. Er setzte eine gewisse Bildung voraus. Deswegen gründeten und unterstützten Sie Schulen. In Fogarasch gründeten Sie eine rumänische Bildungsanstalt.

Manche Historiker und Historikerinnen erinnert Ihre reformatorische Ausstrahlung an die Schweizerin Wibrandis Rosenblatt aus Basel (1504-1564), eine Ihrer berühmten Vorgängerinnen.

„Darf man Sie mit Gratiosa Domina Lorántffy Szuszanna ansprechen?“ Vermögende Frauen mit Bildung, sozialem Stand und Durchsetzungsvermögen können heute (zu Beginn des dritten Jahrtausends) begnadete „Influenzerinnen“ sein. Sie, eine leidenschaftliche Calvinistin, würden diese Möglichkeit zur Verbreitung des protestantischen Glaubens sicher auch gut nutzen und trotzdem auch in gediegene Bildung von jungen Menschen viel investieren.

Begegnung mit Berta Schiel (1889- 1954) im Michelsberger Elim-Erholungsheim, etwa 1925.

In der ersten Hausordnung von 1926, in dem von Ihnen gegründeten Erholungsheim, lesen wir: „Es ist unser Anliegen, dass unsere Gäste nicht nur Erholung für den Leib, sondern auch für die Seele finden möchten, da das Heim aus dem Bedürfnis heraus entstanden ist, kranken und müden Seelen Gelegenheit zur Stille zu geben, damit erquickt und gesegnet werden von unserem Herrn und Heiland.“  Das war Ihre innere Einstellung.

Sie waren das siebente von 10 Kindern und Ihr Vater, der Papierfabrikant Karl Schiel, starb als Sie 5 Jahre alt waren. Und doch konnte Ihre Mutter Ihnen einen Ausbildungsweg zur Kindergärtnerin und danach zur Säuglingsschwester ermöglichen.

In ihrer Biografie ist zu Ihrem sozialen Stand zu lesen: Berta Schiel war unverheiratet.

Sie waren unverheiratet: Das hieß damals auch, dass Sie keine eigenen Kinder hatten. „Fräulein Schiel, spürten Sie manchmal nicht die Sehnsucht einer Frau in einer kinderreichen Familie aufgewachsen, einmal ein eigenes Kind in den Armen zu halten? Als Säuglingsschwester verschenkten Sie dutzenden kranken oder verwaisten Babys Mutterliebe.“

Aus Ihrem Nachlass weiß man, dass für Sie eine große Liebe ein unerwartetes Ende fand.

Wir suchten lange am Hermannstädter Zentralfriedhof nach Ihrem Grab. Wir suchten nach einem aufwendig, schön gestalteten Grabstein und Grabensemble, wo ihr Name in dankbarer Erinnerung an Ihre großen Geldspenden und Ihren Dienst an der Gemeinschaft eingetragen ist. Und fanden keines. Erst beim wiederholten Suchen stießen wir, völlig unerwartet, auf einen Grabstein, wo ihr Name, als zweiter und schon kaum leserlich grau auf grau eingraviert ist. Solches war Ihnen wahrscheinlich genug.

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Manchmal führen sorgfältig gestellte Fragen in Bereiche, die wohlbestellte Antworten überdecken. Mögen meine Fragen an berühmte und bekannte Frauen zum Nachdenken führen. Zum Beispiel auch über das kirchliche Amtsverständnis bei und für Frauen durch die Jahrhunderte hindurch.

Ilse Philippi, Gemeindekuratorin der Evangelischen Kirchengemeinde Hermannstadt

Reihe: Autorinnen und Autoren schreiben im "Jahr des 30 jährigen Ordinationsjubiläums von Frauen"