Bischofsvikar a.D. Dr. Gerhard Schullerus (1927-2016)


Dr. Gerhard Schullerus

Der ehemalige Bischofsvikar und Mediascher Dechant Dr. Gerhard Schullerus ist am 10. März 2016 verstorben. Im Folgenden veröffentlichen wir im Andenken an den früheren Heltauer Stadtpfarrer die Beerdigungansprache, die Bischof Reinhart Guib anlässlich des Begräbnisses von Dr. Schullerus am. 12. März in Heltau gehalten hat:

Liebe leidtragende Familie! Liebe Trauergemeinde!

In der 44-jährigen Pfarramtszeit und Predigttätigkeit eures vom himmlischen Vater heimgerufenen Ehegatten, Vaters und Schwiegervaters, eures Bruders und Schwagers, Onkels und Großvaters, eures langjährigen Stadtpfarrers und unseres Pfarrbruders, Altdechanten und Altbischofsvikars, eures Freundes und Kameraden Gerhard Schullerus ist ihm besonders ein Wort aus dem gottesdienstlichen Beichtgebet wichtig geworden: „Richte mich, mein Gott, aber verwirf mich nicht. Ich weiß keine andre Zuflucht als dein unergründliches Erbarmen.“

Es ist dies ein Gebetswort, dass das große Vertrauen in und die ganze Hingabe an Gott zeigt, die Gerhard Schullerus ein Leben lang gehegt und gepflegt, ja gelebt hat.
Am 25.Sept. 1927 auf dem Pfarrhof in Meeburg geboren waren seine ersten Jahre nicht, wie bei einem Sonntagskind zu vermuten wäre, von einer ruhigen und glücklichen Kindheit, als eher von den Umzügen von Meeburg nach Zendersch und dann nach Schaas und dem Sich- Neu- Zurechtfinden geprägt. Er musste seinem, zum Pfarrer von einer und der anderen und dritten Gemeinde gewählten Vater Friedrich Wilhelm Schullerus und seiner Mutter Marie Josefine, geb. Höhr mitsamt seinen insgesamt 5 Brüdern stets folgen. Auch seine Schulzeit hat er in 3 Gemeinden – Zendersch, Schaas und Schäßburg – erlebt, wobei ihm auf der Schäßburger Bergschule Religion und Geschichte und dann auch Latein und Philosophie als Lieblingsfächer Freude bereiteten. 1945 hielten ihn seine Eltern über Monate versteckt auf dem Schaaser Pfarrhof um dem blutjungen Burschen die Deportation zu ersparen. Da hat er reichlich lernen können was Zuflucht und Erbarmen bei Gott bedeuten. So reifte sein Entschluss und nach der Reifeprüfung 1947 in Hermannstadt war er fest entschlossen seinem Vater und der Pfarrdynastie seiner Familie zu entsprechen  und den Pfarrberuf zu ergreifen. Da zu der Zeit unsere Kirche nach Krieg, Deportation und Enteignung schwer heimgesucht war und das Landeskonsistorium noch keine Studienmöglichkeit eingerichtet hatte nahm er eine Hilfslehrerstelle in Peschendorf an und avancierte in kurzer Zeit, da der dortige Pfarrer in Russland war, zum Pfarrvertreter und bestritt den gesamten Pfarrdienst von den geistlichen- bis zu den Verwaltungsaufgaben. Kurze Zeit später sah er sich auch Dienste in der Nachbargemeinde Kreisch wahrnehmen. 1949 inskribierte er dann als Theologiestudent an der frisch gegründeten Evangelischen Abteilung des Theol. Instituts mit Universitätsgrad der Protestantischen Kirchen in Klausenburg und bekam so zu den schon gemachten praktischen Pfarramtserfahrungen nun auch das nötige theologische Wissen mit. 1952 schloss er das 3-jährige Studium mit dem ersten Absolventenjahrgang überhaupt ab. Im Aug. 1952 wurde er von Bischof D.Friedrich Müller noch vor Pfarrvikarsantritt in Agnetheln ordiniert, da Pfarrmangel herrschte und Geistliche bitter nötig waren. Hier wurde er zum ersten Mal mit der Diasporasituation konfrontiert, denn vom Agnethler Pfarramt wurden auch die Gemeinden in Werd, Zied und Bürgesch betreut. Aus dieser Zeit lernte er viel über den Umgang mit Menschen in einem Pfarramt. 1953 bestand er als Bester, der ersten in Siebenbürgen ausgebildeten sächsischen Pfarrer,  die Pfarramtsprüfung und kam auf die Stadtpredigerstelle in Agnetheln. 1957 übernahm er die Pfarrstelle in Großprobstdorf bei Mediasch. Diese nahm er nicht allein in Angriff, sondern er brachte seine, bei der Ordination kennengelernte und ein Jahr später geehelichte Gattin, Maria Margarethe Müller, Tochter von Bischof D.Fr.Müller, und seine beiden Erstgeborenen Paul Gerhard und Maria Margarethe, denen sie ihre Vornamen mitgaben, nach Großprobstdorf mit. Mit Irmgard segnete Gott ihre Ehe zum dritten Mal. Die zwei ältesten Kinder, die heute in Deutschland leben und die Jüngste, Pfarrfrau in Karlsburg, sowie die geschenkten 8 Enkel und ein Urenkel waren ihm eine große Freude und Bereicherung. Von Gott berufen und der Familie geliebt konnte er sich dem Pfarrdienst widmen und wurde nach und nach dank seiner Ernsthaftigkeit, Ordnungsliebe, Rechtskenntnis und breitgefächerten Kompetenz vom Rechnungsprüfer zum Mitglied des BK, zum Dechantstellvertreter und zuletzt zum Dechanten im Mediascher Bezirk gewählt.  Sein Konfirmationsspruch aus Hebr. 10,39: „Wir aber sind nicht von denen die da weichen und verdammt werden, sondern von denen die da glauben und die Seele erretten“ gab ihm in vielen schweren Entscheidungen sowie Prüf- und Aufbauzeiten in der Gemeinde Mut und Kraft treu und standhaft zu bleiben und weiterzugehen im Dienst des Herrn.

Dies Weitergehen nahm 1972 in der Gestalt der Stadtpfarrstelle in Heltau, auf die er berufen wurde, auch ganz konkrete Züge an. Nach 15 Jahren Großprobstdorf, 10 Jahren Bezirk Mediasch und 2 Jahren Dechantenamt fiel ihm das Weggehen aus dem Weinland mit seinen liebgewordenen Menschen, wie er bezeugte, gar nicht leicht. Aber die Zeit war reif für frische Luft im übertragenen wie wörtlichen Sinne, ohne Kleinkopischer Giftschwaden und mit der Aussicht nicht nur auf die Berge und die Nähe Hermannstadts, sondern auch auf ein Wirken in einer großen, starken und leistungsfähigen Gemeinde, verbunden mit der Chance zur persönlichen Weiterentwicklung auf theologischem und geistlichem Gebiet. 24 Jahre sollte er die Gemeinde in guten und schweren Zeiten betreuen: Kinder taufen, junge Menschen konfirmieren, Ehepaare trauen, Verstorbene beerdigen, Gottesdienste, Beichte und Abendmahle, Morgenandachten, Bibelstunden, Gebetswochen und Evangelisationswochen feiern und abhalten  u.v.m.  und dazu hat er über die Jahre vier zweite Pfarrer eingearbeitet und begleitet. Auch über die Umbruchjahre 1989-1990 blieb er der Träger der kirchlichen Beständigkeit und Kontinuität.

Seinen Wunsch in Hermannstadt zu promovieren erfüllte er sich 1974 mit der Dissertation, die im heurigen Jahr der Reformatoren und am Vorabend des 500-jährigen Reformationsjubiläums auf einmal wieder relevant wird: „Reformation und Kirchenrecht – Auswirkungen der Reformation auf die  verfassungsrechtliche Ausgestaltung derselben im 16. und 17. Jh.“  

In der Nähe Hermannstadts konnte er sich trotz wissenschaftlichem Arbeiten schwer der Mitverantwortung entziehen in die ihn die Kirche als Mitglied ins Hermannstädter Bezirkskonsistoriums 1976, zum Bischofsvikar von 1978-82 und dann bis 1990 als Mitglied ins LK berief. Als Vorsitzender des Aufsichtsrates der Kantorenschule und des LK-Ausschusses für Kulturgut sowie bei der Erarbeitung der Agende für Gottesdienst Kasualien und Orgelbuch machte er sich zudem verdient.

Diese Zeit wurde aber nicht nur von seinem hingebungsvollen Einsatz für die Kirche geprägt, sondern er selbst wurde auch schwer heimgesucht. Dem frühen Tod der Mutter 1971 und der beiden älteren Brüder in Deutschland folgte 1984 der besonders schmerzliche seiner geliebten Gattin, die nach halbjährigem Leiden einem bösartigen Gehirntumor erlag. Schwer setzte ihm auch der seitens des kommunistischen Apparates ausgeübte Druck zu, der ihn veranlasste nicht für ein zweites Bischofsvikar-Mandat zu kandidieren, wie seine Nichtwiederwahl 1990 ins LK. Und doch spürte er, dass Gott ihn nicht verwarf und ihm Zuflucht im Glauben schenkte, sodass er diese schweren Heimsuchungen überstand.

Mit Hermine Friederike Kolassovits fand er 1987 seine zweite Ehepartnerin, die ihm treu und hilfsbereit in der Gemeinde wie auch  persönlich zur Seite stand und seinen Kindern eine gute Freundin wurde. Nach 1990 übernahm er  neben dem Stadtpfarramt in Heltau auch die Betreuung der Gemeinde in Ramnicu Valcea. Auch war er einer der Religionsunterricht- Pioniere aus deren Federn die ersten Religionspläne entworfen wurden. Gerne wollte er sich auch einer neuen Herausforderung, nämlich der Stadtpfarrstelle in Schäßburg 1995 stellen, aber ein Schlaganfall verhinderte einen weiteren Umzug, sodass er nach seiner Verrentung im selben Jahr noch eine kurze Zeit die vakant gewordene Stadtpfarrstelle in Heltau versah bis er endgültig mit seiner Frau, 1996, nach Hermannstadt zog. Die Heltauer Gemeinde bedankte sich feierlich bei ihm mit der Verleihung ihres ersten Walburgapreises für sein langes und fruchtbares Wirken in der Gemeinde.

Die letzten 2 Jahrzehnte waren gekennzeichnet durch seine ehrenamtliche Implikation als Vorsitzender der Saxonia-Stiftung, in der EAS, im Diak. Werk, in der Bibelgesellschaft, wo er unsere Kirche vertrat u.v.a. Gremien und Organisationen mehr. Er nahm gern an den Gottesdiensten der Gemeinde und den Pfarrzusammenkünften teil und brachte sich mit fundierten Beiträgen ein. Auch nahm er regen Anteil am Ergehen der sich wandelnden Kirche und Gepflogenheiten.  In diesen Jahren konnte er die freundschaftliche Verbindung zu den Kindern und Enkeln intensiver pflegen, da die Kinder der Tochter Irmgard zeitweise bei ihnen im Haus wohnten.

2013 zog er zum letzten Mal um, diesmal aus Gesundheitsgründen ins C.Wolff-Heim. Auch da konnte man sich auf seine geistlichen und stets gutgemeinten Beiträge verlassen. Seit letzten Dezember wurden seine Kreise immer enger, seine Wege immer kürzer, sein Gesundheitszustand immer bedenklicher, bis er vor einer Woche bettlägerig wurde. Dank guter Pflege im C.Wolff-Heim und lieber und helfender Begleitung durch seine Frau und die herbeigeeilten Kinder und Enkel, denen es am letzten Montag geschenkt wurde noch einmal gemeinsam das Abendmahl mit dem Gatten, Vater und Großvater zu feiern, konnte er am Donnerstag in Frieden entschlafen.

Liebe Trauernden, fast ein Jahrhundert Lebensgeschichte aber auch Pfarr- u. Kirchengeschichte haben wir mitgehen können am Lebenslauf unseres Bruders G.Schullerus. Was aber weit wichtiger ist und bleibenden Wert hat ist die Tatsache, dass wir an seinem Leben, ein Leben im Glauben an Gott, ein Leben in voller Hingabe für seine Kirche und sein Volk, ein Leben in Liebe für seine Familie und ein Leben in Demut und Würde vor dem allmächtigen wie barmherzigen göttlichen Richter ablesen können, ein Leben das in Vielem Vorbildcharakter hat. Für dieses menschliche Vorbild und allen Segen, der aus seinem Dienst für unsere Kirche gewachsen ist, danken wir Gott von Herzen.

Ich bin gewiss, solange der Geist solcher Zeugen unter uns nicht ausstirbt kann unsere Kirche zuversichtlich in die Zukunft blicken.      

Wir sind heute in Gedanken bei unserem lieben Entschlafenen. Das Gebetswort „Richte mich, mein Gott, aber verwirf mich nicht. Ich weiß keine andre Zuflucht als dein unergründliches Erbarmen,“ das unseren Bruder G.Schullerus Zeit seines 88-jährigen Lebens begleitet hat möge ihm auch auf seinem letzten Weg in Erfüllung gehen und er Zuflucht bei Gott finden. So hat er es verstanden sich vorzubereiten auf die Gemeinschaft im Abendmahl mit der Gemeinde, wie auch auf die ewige Gemeinschaft mit Gott. Auf diesem Weg sei ihm Gott ein barmherziger Richter.  

Auch für uns will sich dies Gebet des Glaubens, der Zugehörigkeit und vollen Verbundenheit zu Gott heilsam erweisen, sodass wir`s so oft wir nur können und auch dann wenn es uns schwer zumute ist aus Herzensgrund sprechen: „Richte mich, mein Gott, aber verwirf mich nicht. Ich weiß keine andre Zuflucht als dein unergründliches Erbarmen.“ Das ist gewisslich wahr.

Amen.