Die Speisungen im Markusevangelium
Die schriftliche Predigt zum Erntedankfest 2020 haben wir von Pfarrer Dr. András Bándi erhalten, der im Begegnungs- und Kulturzentrum Friedrich Teutsch der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien (EKR) in Hermannstadt arbeitet. In seinem geistlichen Wort befasst er sich mit Markus 8,1-9.
In jenen Tagen ist wieder viel Volk da und sie haben nichts zu essen. Da ruft er die Jünger herbei und sagt zu ihnen: Das Volk tut mir leid, denn drei Tage sind sie schon bei mir und haben nichts zu essen. Und wenn ich sie hungrig nach Hause gehen lasse, werden sie unterwegs zusammenbrechen, einige von ihnen sind ja von weit her gekommen. Und seine Jünger antworteten ihm: Wie sollte einer diese Leute mit Brot satt machen können hier in der Einöde? Und er fragte sie: Wie viele Brote habt ihr? Sie sagten: Sieben. Da fordert er das Volk auf, sich zu lagern. Und er nahm die sieben Brote, sprach das Dankgebet, brach sie und gab sie seinen Jüngern zum Verteilen, und die verteilten sie unter das Volk. Sie hatten auch ein paar Fische, und er sprach den Lobpreis über sie und ließ auch diese verteilen. Und sie aßen und wurden satt. Und sie sammelten die übrig gebliebenen Brocken, sieben Körbe voll. Viertausend waren es gewesen. Und er entließ sie. (Markus 8,1-9)
Der Herbst ist da. Es wird geerntet, für die Ernte wird gedankt. Erntedankgebete und Ernte-dankgottesdienste sind schon in der Antike üblich gewesen, bei den Griechen, Römern und selbst-verständlich in Israel. Beginnend mit dem 3. Jahrhundert ist das Fest auch im Christentum belegt, allerdings an unterschiedlichen Terminen, wie z. Z. noch im römischen Katholizismus üblich. Aber auch die Reformation wollte am althergebrachten Ritus nicht viel verändern. Zuerst war die Zeit-spanne für die Feier des Festes sehr breit, etwa zwischen dem Bartholomäustag (24. August) und dem Martinstag (11. November). Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts feiern die meisten Landeskirchen in Deutschland am Sonntag nach dem Michaelistag (29. September) Erntedank. In Siebenbürgen waren eher die späteren Termine üblich. In diesem Sinne hatte man 1924 landeskirchlich den Termin auf den Sonntag vor dem Reformationsfest (30. Oktober) festgelegt, aber praktisch feiert man Erntedank an einem Sonntag im Oktober.
Dieses Fest ist eher auf dem Lande wichtig gewesen, oft so wichtig, dass man es als drittes Hochfest nach Weihnachten und Ostern betrachtete. In den Städten war und ist der Zugang zur Ernte ein indirekter. Durch Messen und Volksfeste signalisierte man, was sich auf den Äckern, Feldern und in den Weinbergen abspielte. In großen Industriestädten war Erntedank das Fest der Verbundenheit mit den bäuerlichen Wurzeln der Fabrikarbeiter und hatte dadurch einen identitätsprägenden Charakter, wie mir ein Katholik aus Reschitza bestätigte: „Selbst in der Industriestadt halten wir an unseren Bräuchen und Traditionen fest“.
Das Alte Testament kennt zwei Erntedankfeste, das Schawuot und das Sukkot, zu Deutsch: Wochen-, bzw. Laubhüttenfest. Das Schawuot feierte man am Anfang der Ernte, Sukkot am Ende: „Und ein Wochenfest sollst du feiern mit den Erstlingen der Weizenernte und das Fest der Lese an der Jahreswende.“ (Exodus 34,22) Diese Feste sind mit Opferungen und üppigen Mahlzeiten begangen worden. Im ländlichen Israel hatte auch der Kult des Gewittergottes und Wolkenreiters Baal eine wichtige Rolle gespielt. Spuren seiner Verehrung befinden sich auch in den lyrischen Büchern der Bibel: „Du hast dich des Landes angenommen und ihm Überfluss geschenkt, du machtest es überreich. Voll Wasser ist der Bach Gottes; du bereitest ihnen ihr Getreide, so richtest du es her. Du wässerst seine Furchen, ebnest seine Schollen, mit Regenschauern weichst du es auf und segnest sein Gewächs. Du hast das Jahr mit deiner Güte gekrönt, und deine Spuren triefen von Fett. Es triefen die Auen der Steppe, und mit Jubel gürten sich die Hügel. Die Weiden kleiden sich mit Herden, und die Täler hüllen sich in Korn, sie jauchzen sich zu, und sie singen.“ (Psalm 65, 10-14)
Unser heutige Bibelwort spricht auch von Üppigkeit, die aber anderen Zwecken dient als der Dank über die Ernte. Jesus dankt, betet und segnet bei der Vermehrung von Brot und Fisch, so erinnert uns die ganze Handlung an das Abendmahl, welches geistlich uns speist. Markus kennt zwei Speisungsgeschichten, die, von einander getrennt, in den Kapiteln 6 und 8 behandelt werden. Und jeder Bericht betont jeweils einen anderen Aspekt des überlieferten Wundergeschehens. In Markus 6,30-44 wird die Speisung der 5.000 eher kurz beschrieben. Dabei fällt auf, dass Jesus Mitleid mit seinen Zuhörern hatte, denn „sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben.“ Fünf Brote und zwei Fische speisten die Menge. Die Reste dieser enormen Tischgemeinschaft füllten zwölf Körbe.
Bei der Speisung der 4000 wird das Mitleid Jesu sozusagen begründet: die Notlage des Volkes wird erkannt und die Speisung tilgt die Not. Notsituationen im Sinne von Lebensmittelmangel kennen vielleicht nur noch die Ältesten unter uns. Es gibt aber Menschen, die sich in eine oder andere Notlage hineingeben, in dem sie schlecht planen oder ihre Ressourcen nicht entsprechend managen können. Das Gesundheitssystem des Landes befindet sich momentan in einer Notlage. Auch hier ist gutes Management Gold wert. Es droht nämmich zusammenzubrechen, wie die Zuhörer Jesu in der Einöde, die drei Tage lang nichts zu essen hatten. Aber Jesus erkennt die Not und agiert dagegen. Die Speisung ist prompt und ergibt sieben Körbe Brocken.
Die Speisungswunder können überwältigend, vielleicht sogar unverständlich sein. Heute sind sie unvorstellbar. Fast jede öffentliche Veranstaltung bot bis vor Kurzem Wasser und Lebensmittel an. Oft umsonst. Für den antiken Menschen im Nahost war eine sättigende Tischgemeinschaft ohnehin ein Wunder. Markus will mit diesen Wundern die Vollmacht Jesu beweisen. Er hat von Gott die Macht 4.000-5.000 Menschen zu speisen. Aber das eigentliche Wunder ist wohl nicht die Sättigung von Massen. In Markus 8.14-21 wird von einem Gespräch berichtet, das mit höchster Wahrscheinlichkeit die Auslegung der Speisungswunder liefert. Die Jünger haben nur ein einziges Brot bei sich. Und sie machten sich Gedanken darüber, wer ihnen Brot anbieten könnte: Die Pharisäer, entschiedene Gegner Jesu, oder Herodes, Sinnbild der Korruption und des unreinen Umgangs mit der heidnischen römischen Besatzungsmacht? Nach so vielen Körben voller Brocken haben sie es immer noch nicht verstanden, denn ihr Herz war verstockt: Jesus speist die Leiber, aber das eigentliche Wunder sind seine, das Reich Gottes ankündigende Worte und der Glaube, den sie uns schenken.
Zur Überbrückung der Notlagen braucht es mehr als Brot und Medikamente, es braucht innere Überzeugung, festen Glauben und eine unerschütterliche Hoffnung, die uns Jesusin Form von sättigender geistlichen Speise anbietet. Lasst uns niedersetzen und uns von Ihm speisen lassen, auf dass wir Körbe mit guten Gedanken und Werken füllen können für uns selbst, wie auch für unsere Mitmenschen. Amen.