Diese Nische geistiger Befreiung von Frauen


Prof. Dr. Dr. h.c. Mihaela Miroiu - Bild: Eduard Andrica

Mihaela Miroiu, wir feiern in diesem Jahr 30 Jahre Ordination der Frauen in der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien. Warum findest Du es wichtig, dass ein solches Jubiläum gefeiert und die Geschichte von Frauen erinnert wird?

Wir studieren politische Geschichte, Wissenschaftsgeschichte, Kunstgeschichte, Religionsgeschichte. Oder wir gehen einfach auf die Straße, in Museen, in Parks mit Statuen. Wir sehen Gesichter und lesen die Namen, die die Geschichte der Kultur und Zivilisation geprägt haben, zumindest die uns bekannte Geschichte. Wir sind Frauen. Wir suchen unsere eigene Vergangenheit, als Frauen.

Durch die Agora haben wir keine Vorbilder. Wir scheinen nirgendwo – und wenn, nur ausnahmsweise – Vorgängerinnen zu haben. Diejenigen, die uns bis vor weniger als hundert Jahren vorausgegangen sind, scheinen die großen Anonymen der Geschichte zu sein. Sie scheinen kein sinnvolles Denken hervorgebracht zu haben. Sie haben keine Theorien aufgestellt und nichts interpretiert. Ihr geistiges und intellektuelles Leben hat sich auf den Dienst an den Denkern reduziert. Sie sollen Musen sein, keine Künstlerinnen. Lasst sie diejenigen sein, denen man predigt. Nicht diejenigen, die predigen. Sie sollen diejenigen sein, die die moralischen und rechtlichen Regeln befolgen, nicht diejenigen, die sie aufstellen. Sie sind diejenigen, die wohnen. Nicht bauen. Sie sind diejenigen, die Menschen gebären und aufziehen, bis sie selbständig sind (wenn sie Männer sind).

Was haben wir aus dieser Geschichte, die uns überall begleitet, gelernt? Dass Frauen eine völlig zweitrangige Existenz haben. Dass sie Fußnoten in unserer männergemachten Geschichte sind. Dass das Wort Gottes nicht durch sie in die Welt kommt. Dass sie fatalerweise Krypto-Dienerinnen sind, und das ist alles.

Solche Thesen kann man als Ergebnis unser patriarchalisch konstruierten Geschichte aufstellen. Wenn wir sie als gegeben hinnehmen, unterstützen wir sie.

Glücklicherweise haben viele Frauen und genügend Männer daran geglaubt und glauben noch immer daran, dass niemand von uns Einschränkungen unserer Spiritualität, unserer Phantasie und Vernunft als fatales Schicksal hinnehmen muss. Stattdessen können wir uns am Aufbau der geistigen und materiellen Zivilisation beteiligen, mit unseren Neigungen und frei entfalteten Kräften. Denn die Geschichte muss sowohl weibliche als auch männliche Gesichter haben. Dies geschah und geschieht in der Geschichte der heutigen Demokratien durch den ungehinderten Zugang zur Bildung, zu den Berufen und zu einem guten Teil auch zu den Entscheidungen in der Politik.

Einer der bedeutendsten Momente der Befreiung des weiblichen Geistes geschah vor dreißig Jahren mit dem Recht der Frauen, in der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien zu predigen. Zu predigen. Ich verneige mich voller Ehrfurcht vor all denen, denen wir diese Nische geistiger Befreiung von Frauen an heiliger Stätte zu verdanken haben. Und ich hoffe von ganzem Herzen, dass sich auch andere Kirchen ihren Gemeindegliedern, die Frauen sind, voll und ganz öffnen werden.

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Prof. Dr. Dr. h.c. Mihaela Miroiu, Philosophin und Politologin, Mitglied der Academia Europaea,  spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Politikwissenschaft nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, zunächst als Professorin an der National School of Political Studies and Public Administration  (NSPSPA). Sie initiierte dann das Doktorandenstudium der Politikwissenschaft in Rumänien. Im Bereich der feministischen Studien führte Miroiu den ersten Kurs in feministischer Philosophie an der Universität Bukarest ein (1994) und initiierte den ersten MA-Studiengang in Gender Studies an der NSPSPA (1998), der sich auf Gender und Politik konzentrierte. Sie wurde christlich- orthodox erzogen, betrachtet sich heute als christlich-ökumenisch.

Reihe der Wortmeldungen aus der Ökumene besorgt von Elfriede Dörr