Eine Goldader entdecken - Gedanken zum Advent


Die Möglichkeit, eine Goldader entdecken?

Ein paar freie Tage, wie schön! – Das denken viele Menschen diese Tage – ich auch - und machen sich auf, raus aus ihren Häusern, raus aus dem Alltag, raus aus dem Gewohnten. Es ist, als ob wir diese geschenkte Zeit unbedingt nutzen wollten um unter die Oberfläche unseres Daseins zu gelangen.

Auf unseren Straßen parken Autos mit Kennzeichen aus allen Teilen des Landes. Die Konzerte in der Stadtpfarrkirche platzen aus allen Nähten. Das Brukenthalmuseum ist überrannt. Der Weihnachtsmarkt ist eine sich langsam vorwärtsschiebende Menschenmenge.

Wie wunderbar es ist, Zeit zu haben! Ich kann mich ganz den mir nahen Menschen zuwenden. Ich kann Dinge tun, die ich ich immer aufgeschoben habe. Ich kann innehalten und mir Wesentliches vergegenwärtigen.

Vielleicht ist auch dies wesentlich, ausgerechnet mitten im Gewusel der freien Tage mich zu besinnen, wem ich mich verdanke und aus wem ich täglich mein Leben empfange. Ich schäle mir eine Viertelstunde Zeit heraus und lese, was ein schwedischer Kollege schreibt. Er nutzt das Bild der Goldader für die Spur, die ich suche. Das gefällt mir. Er wirbt um die Stille. Sie sei es, die uns öffnet "für die Möglichkeit eine Goldader (zu) entdecken, die durch unser Leben verläuft, die Möglichkeit, dass in uns etwas Großes ruht, etwas, das ohne die Stille nicht zum Leben erweckt würde."

Ich verstehe, es geht hier um eine andere Stille, als die, die alle inneren Stimmen in mir laut werden lässt oder die schmerzhaften Erinnerungen hochkommen lässt. "Die große Frage, die die Stille uns stellt, ist nicht die Frage nach dem, was ich lieber überhören würde," - behauptet der Kollege - "sondern nach dem, was zu hören ich mich sehne. Wenn man die Stille wählt, fügt man nicht dem Leben etwas hinzu. Man verzichtet nur darauf, einen kleinen Zeitraum mit irgendetwas zu füllen. Man lässt ihn leer, so dass er mit etwas anderem gefüllt werden kann. Nichts was man selbst beiträgt oder was andere beitragen, sondern etwas, das auf einen zukommt wie eine Ahnung einer anderen Welt, einer Welt, in der die Zeit nicht vorbei rauscht, einer Welt, in der man sein eigenes Herz schlagen hören und seine eigene Sehnsucht wahrnehmen kann und in der es möglich ist, Nuancen zu erspüren. Nuancen, die einen den Unterschied zwischen Gold und billigem Plunder erkennen lassen."

Ein paar freie Tage, wie schön!

Da ist Zeit sich Wesentliches zu vergegenwärtigen.

Vielleicht hilft dies wesentlich - die Stille, der ich Raum gebe. In den freien Tagen, im Advent und dann immer wieder: stille werden in der besinnlichen Vielstimmigkeit. Und vielleicht eine Goldader entdecken.

Elfriede Dörr