EU-Sympathie „neue Entwicklung“ in einem alten Konflikt


Kiew in der Nacht vom 18. auf den 19. Februar 2014. (Bild: Katya Gorchinskaya / mit freundlicher Genehmigung von 'euromaidan.ws')

Seit Ende vergangenen Jahres kommen die Ukraine und ihre Hauptstadt Kiew nicht zu Ruhe. Neuester Höhepunkt der Proteste war der vergangene Dienstag, an dem eine noch unbestimmte Anzahl von Menschen den Tod gefunden hat. Mit Betroffenheit und Sorge werden die Ereignisse des Nachbarlandes auch in der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien (EKR) verfolgt. Im Interview mit den Kirchlichen Blättern schildert der Wolkendorfer Pfarrer Uwe Seidner, der die Ukraine in den letzten Jahren mehrfach bereist hat, seine Eindrücke.

Als „blutigster Tag in der jüngeren Geschichte Kiews“ wird der 18. Februar in den Medien bezeichnet. Laut Angaben des ukrainischen Gesundheitsministeriums kamen mindestens 25 Menschen ums Leben – Aufständische ebenso wie Sicherheitskräfte. Inoffiziellen Auskünften zufolge liegt die Zahl der Opfer noch weit höher. Im Zentrum der internationalen Kritik stehen vor allem die ukrainischen Behörden aufgrund ihres harten Vorgehens gegen die Demonstranten. 

Seit einigen Jahren bemühen sich Vertreter der EKR, den Blick nach Osten zu richten, um Tuchfühlung und Beziehung zur Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche der Ukraine (DELKU) aufzunehmen. Was vor über zehn Jahren in Heltau als Partnerschaftsinitiative mit der evangelischen Kirchengemeinde in Cherson am Dnepr begonnen hat, wird seither in besonderem Maß von den Gemeinden in Wolkendorf, Neustadt und Weidenbach fortgeführt. - Anlässlich der jüngsten Ereignisse in der Ukraine haben die Kirchlichen Blätter Online den Wolkendorfer Pfarrer Uwe Seidner als Kenner der Ukraine um seine persönlichen Einschätzungen zur Lage in dem östlichen Nachbarstaat Rumäniens gebeten:

  • Kirchliche Blätter: Herr Pfarrer, Sie pflegen seit langem regelmäßigen Kontakt zur DELKU. Konnten Sie seit der Intensivierung der Proteste bereits mit Kirchenvertretern oder Gemeindegliedern in den betroffenen Gegenden der Ukraine sprechen?

Pfr. Uwe Seidner: Ja, ich hatte vor einiger Zeit ein Gespräch mit Herrn Bischof Spahlinger. Er hat mich schon damals darüber informiert, wie schwierig die Lage insbesondere für die Gemeinde in Kiew ist. Die St.-Katharinenkirche befindet sich ja direkt im Zentrum der Stadt, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Protesten. Derzeit ist es leider nicht einfach, den dortigen Pastor Ralf Haska zu sprechen. Wie ich erfahren habe, wurde er bei den jüngsten Ausschreitungen verletzt, es geht ihm aber dem Vernehmen nach gut.

  • In welcher Lage ist die DELKU angesichts der aktuellen Situation?

Sie ist in einer überaus schwierigen Lagen, weil sie besonderen Wert auf Ausgeglichenheit und Neutralität legen muss: So wie die gesamte ukrainische Gesellschaft, unterteilen sich auch die Kirchenglieder der DELKU in einen kulturell eher der ukrainischen Seite nahestehenden und einen eher mit der russischen Seite sympathisierenden Teil.

  • Kann der Konflikt auch heute noch allein auf die Spaltung der Ukraine in eine russische und eine ukrainische Hälfte zurückgeführt werden, oder gibt es auch andere relevante Gründe?

Es handelt sich immer noch in erster Linie um einen Nationalitätenkonflikt. Schon zu Sowjetzeiten hat dieser Gegensatz sich dadurch manifestiert, dass das systematische Aushungern, dem die Ukraine ausgesetzt war, als bewusste russische Maßnahme empfunden wurde. Die Ukraine ist heute ein im wahrsten Sinn des Wortes gespaltenes Land, da im Osten und zum Teil im Süden nur sehr wenige ethnische Ukrainer leben. 

  • Nun ist die Rede vom „Euromaidan“. Ist tatsächlich auch die Sympathie gegenüber der Europäischen Union eine ausschlaggebende Motivation für die Proteste?

Dass die EU zu einem vorrangigen Thema wurde, ist meiner Einschätzung nach eine relativ neue Entwicklung. Bei vergangenen Protesten stand tatsächlich das nationalistische, anti-russische Element im Vordergrund. Es ist nicht auszuschließen, dass Figuren wie die pro-europäische Vitalij Klyčko hier zu einer Verbreiterung der Thematik beigetragen haben. 

  • Im Winter 2004/2005 fand die sogenannte Orange Revolution statt. Viktor Juščenko und Julija Tymošenko sind allen noch gut in Erinnerung. Durch die Abwahl der beiden Hauptfiguren dieser Ereignisse könnte man die Orange Revolution als gescheitert betrachten. Womit haben wir es nun zu tun? Eine Neuauflage?

Nicht wirklich. Zum einen war zu Zeiten der Orangen Revolution die praktische Macht des Präsidenten nicht so umfassend, wie heute. Außerdem blieb seinerzeit der russisch dominierte Osten des Landes vergleichsweise ruhig. Heute haben wir aber die sogenannten Euromaidan-Proteste in Kiew und in den westlichen Städten, während es gleichzeitig in den russisch geprägten Regionen immer wieder auch zu Anti-Euromaidan-Protesten kommt.

  • Für wie gefährlich halten Sie die Svoboda-Partei, die neben den moderaten Kräften auch an der Protestbewegung beteiligt ist?

Mit Sicherheit handelt es sich bei dieser Gruppe um eine Bewegung klar nationalistischer Ausrichtung. Ich erinnere mich, dass sie vor allem bei jungen Westukrainern sehr populär ist. Ob alle Äußerungen der Svoboda-Vertreter allerdings immer ernst gemeint sind, oder ob es sich gelegentlich auch um schlichte Polemik handelt, ist schwer zu beurteilen. – Sollten die aktuellen Ausschreitungen sich aber noch weiter verbreitern, in Richtung eines Bürgerkrieges, dann ist leider zu befürchten, dass Svoboda eine wichtige Rolle dabei spielen könnte.

  • Danke, Herr Pfarrer Seidner, für Ihre Einschätzungen!

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