Fragment aus dem unveröffentlichten Roman: Die dritte Nacht
Fogarasch, das Städtchen. Kinderjahre, Jugendzeit. Sommer. Das innere Auge wird wach. Die Fernsicht bebildert das Gefühl.
Die Badestelle am Fluss. Es ist das Hirtenlied der Gemeinsamkeit von Sprachen und Menschen, von Männern und Greisen, von Frau und Kindern, von Mägden und von Damen, von Proletariern und Priestern, und wahrlich allesamt in nuce. Jener Winkel der Welt, dort, ferne, stellt sich vor als Idylle zu Wasser und zu Land. Und als Beisammensein, schief und quer …
Getrennt hielt man sich vom Rumänischen, wie Fotografien es ausweisen. Doch man beäugte sich! Die Rumänen, neuerdings das Staatsvolk, besetzten zu Recht die besten Schattennischen im Buschwerk des Ufers. Die Sonne mieden sie, und selten erquickten sie sich im Wasser. Die Damen trugen geschlossene Badeanzüge in seriösen Farben, die Männer schwarze Hosen bis zum Knie. Selten, aber es kam vor: Mädchen gaben sich fürwitzig hinter dem Rücken der Eltern. Jungen übersprangen die gebieterischen Regeln ihrer Abstammung. Unsereins wunderte sich über das diffuse Kunterbunt im nachbarlichen Gehege. Doch noch fremder waren wir ihnen, wir "Sachsen", schon als Sprache und bis zum Gebaren. Gewiss: Man badete im selben Fluss. Doch ohne sich zu berühren; oder, Gott bewahre, sich zu befehden. Man tauchte aneinander vorbei. Ein Herüber und Hinüber, kaum denkbar. Schlimm, wenn ein rumänischer Bursche ein sächsisches Mädchen anspritzte, oder die sich in seinem klobigen Kanu spazieren führen ließ. „Hai la schpazier“, klang das im rumänisch-deutschen Kauderwelsch. Ohne Worte wusste man sich verschieden, nach Herkommen und Zungengenschlag, nach Geburt und Muttersprache.
Doch üblicherweise waren die Erwachsenen in den drei Landesprachen zu Hause. So gab es ein höfliches Hin und Her von Grasnarbe zu Grasnarbe. Sehr anders ihre Welt: Schon dass die Kinder ihre Eltern siezten und dem Vater die Hand küssten; dass die Mädchen keine Zöpfe trugen, sondern riesige Bänder im Haar wie Schmetterlinge, die Buben keinen kurzen Hosen anhaben durften, dass die Kinder mit den Großen nicht zu Tisch saßen, sondern ihren „Katzentisch“ hatten, dass sie zu zweit in einem Bett schliefen, selbst wenn der Vater eine Villa besaß … Unter den Schülern, Jungen und Mädchen, waren, wie es uns schien, extravagante Phantastereien am Werk. Und nie würden sie, wie unsereins, Bockspringen. Auf der Skiwiese, o jeh, waren sie mit klobigen Rodeln zu Gange. Ihre Badehosen reichten bis zum Knie. Die Mädchen schminkten sich. Andererseits führten ihre Jugendlichen Wasserspiele auf, die es an sich hatten. Volleyball im Wasser, Fische fangen mit der Hand. Sie belegten ihre Wiese zum Rundtanz Hora und zum Ballspiel Oana, beides eine nationale Spezialität.
Am Ufer hatten sie ihren eigenen Baum, von dem sich die Jungen herabfallen ließen. Die bewarfen die Schülerinnen vom Liceul Doamna Stanca mit gemaserten Muscheln. Sie zogen ihre Mädchen an den verschränkten Händen flussaufwärts, oft bis zur Brücke; manchmal ging ein weiblicher Minislip flöten; flöten, kommt von Fleet, Hamburg lässt grüßen. Zu zweit ließen sie sich auf einem Bügelbrett von der Strömung abwärts treiben, ruderten mit den Füßen, kippten in die Flut, waren lange verschwunden. Tauchten auf, umschlungen. Sprühten sich Küsse zu. Die Jungen kraulten zum Ufer hin. Liefen dem Bügelbrett nach, das sich zur Donau aufgemacht hatte.
Oder die rumänischen Mädchen drängten die Burschen unter den Wasserspiegel. Sie küssten sich im gelben Licht der Strömung, kamen hoch, schnappten nach Luft, ohne voneinander zu lassen. Verschwanden wieder in der Tiefe. Uns sächsischen Buben lief das Wasser im Mund zusammen. Die wir unsere Mädchen, höhere Wesen, gerade Mal anzuhimmeln wagten. Vielleicht uns trauten, sie einmal hinterrücks zu zwicken. ‚Einmal ist keinmal‘, heißt es.
ENDE
Eginald Norbert F. Schlattner, 1933 in Arad geboren, ist Diplomhydrologe (Dipl.Ing.), Lizenziat der evangalischen Theologie, ehemaliger Gefängnispfarrer. Autor. Er lebt und schreibt in Rothberg bei Hermannstadt. Er ist Witwer und hat eine Tochter, Sabine Maya Schlattner.
Reihe: Autorinnen und Autoren schreiben im "Jahr des 30 jährigen Ordinationsjubiläums von Frauen"