"Jetzt ist die Zeit"
Von 7. bis 11. Juni 2023 fand der Deutsche Evangelische Kirchentag in Nürnberg statt. Der Evangelische Kirchentag bedeutet in Zahlen: 5 Tage, 2000 Veranstaltungen, 70.000 verkaufte Karten, viele Mitarbeitende, 4000 Helfer.innen. Seitens der EKR hat auch eine Delegation teilgenommen.
Ihr habt Euch zusammen aufgemacht, Paula und Elfriede Dörr. Wie war das für Euch?
Paula Dörr: Überraschend. In erster Linie von der Größe des Events, in zweiter Linie von der Vielfalt an Angeboten. Die Veranstaltungen waren so konzipiert, dass jede Altersgruppe und jedes Interesse oder Hobby untergebracht war. Von Kletterwänden, zu Meditationsgruppen zu politischen Podien war alles dabei. Dies war der erste Kirchentag bei dem ich als Helfende dabei war. Das heißt, dass ich zu denen gehört habe, die dafür sorgten, dass alle Veranstaltungsorte richtig ausgeschildert werden, dass die Bühnen hergerichtet werden, dass Tickets gescannt werden. Kurz, dass alles reibungslos abläuft und der Kirchentagsbesucher schnell und unkompliziert ihr Ziel finden. Dabei habe ich auch am Programm teilnehmen können. So war ich beispielsweise in einer Halle zum Helfen eingeteilt in der gerade eine Bischöfin und ein Schauspieler eine Bibelarbeit im Dialog hielten und über ihre Erfahrungen mit Geschwistern erzählten.
Dadurch, dass Elfi und ich uns viel über unsere jeweiligen Rollen ausgetauscht haben, wurde mir klar auf wie vielen Ebenen Kirchentag funktioniert. Auch bei der Mitgestaltung gibt es so verschiedene Aufgaben, dass für jede Vorliebe etwas Passendes gefunden wird.
Elfriede Dörr: Der Kirchentag ist für mich der Ort, der mich für meine Arbeit in der Kirche inspiriert. Durch die guten Veranstaltungen, und auch durch die Aufgaben, die an mich herangetragen werden. Als Vorsitzende des Internationalen Ausschusses, koordiniere ich die Betreuung der internationalen Gäste des Kirchentages mit. Als Mitglied der Präsidialversammlung springe ich ein, wenn jemand aus dem Präsidium ausfällt. Bei diesem Kirchentag wurde ich so Anwältin des Publikums im Hauptpodium zum Thema: Ein Ruf aus der Zukunft. Stimmen aus (Ost)Europa. Neu für mich war hier, dass die Fragen und Kommentare des Publikums digital eingereicht wurden, ich mit der Software vertraut sein musste, die Kommentare am eigenen Laptop clustern lernte. Schien schwierig, war dann alles super easy.
Das Besondere für mich war jedoch den Kirchentag durch Paula noch einmal ganz anders zu erleben. Paula hat als Volontärin mitgeholfen, dass die Abläufe sanft und sicher vollzogen wurden. Ich habe mitbekommen, wie die Volontäre eingeteilt wurden, in welchen Klassenräumen sie den Schlafsack ausrollten, welche Aufgaben sie zugeteilt bekamen, wo ihre Rückzugsorte waren. Paula hat "meine" Veranstaltungen besucht und hat mir erzählt wie sie das Ganze erlebt hat. Ihr ungeschminktes Feedback und ihre Sicht als junger Mensch ist hilfreich gewesen, ich habe das in unsere Auswertung der internationalen Arbeit des Kirchentages gleich eingebracht.
Welche Themen haben Euch beschäftigt?
Paula Dörr: Wie politisch Glaube sein kann. Beziehungsweise, dass Glaube einen dazu verpflichten kann sich gesellschaftlich einzubringen und für christliche Werte einzustehen. Dabei denke ich an den Refrain eines Liedes „Wer es wagt zu tragen, Christus deinen Namen, hat so viel mehr zu sagen als Ja und Amen“. Hängen geblieben ist auch der Begriff „feministische Außenpolitik“. Und vielleicht denkt man dabei erstmal nur an Frauen. Dabei geht es bei dieser Art von Politik darum, dass über den Blick auf Frauenrechte, die Rechte aller Menschengruppen, die unterdrückt werden, in den Blick rücken. Das ist ein eigener Ansatz um Inklusion voranzubringen, aber auch Gewalt entgegenzuwirken und Frieden zu stiften. Dadurch, dass die Perspektive von Frauen, also der Hälfte der Gesellschaft z.B. bei Friedensverhandlungen mitberücksichtigt werden, steigen die Chancen, eine Lösung zu finden.
Elfriede Dörr: Ist tatsächlich das stete Wachstum das Kriterium für Wohlstand? Und was ist Wohlstand überhaupt? Was braucht der Mensch zum Leben? Durch die Klimakrise stellen die Menschen mehr und mehr unsere selbstverständlich gewordene Lebensweise in Frage.
An früheren Kirchentagen habe ich Fachleute gehört, die zu dem aktuellen Wirtschaftssystem Alternativen vorstellten. Ich bin keine Fachfrau, sehe aber was wir Menschen anrichten, in welche Not wir heute schon kommen und es ist in unserem eigenen Interesse etwas zu ändern. Leider haben wir einen Krieg in Europa. Der beeinflusst und bestimmt alles. Friedensethische Fragen sind ganz nach oben gerückt. Die Stabilität ist zur Priorität geworden, alternative Modell nachrangig.