„Mein Recht – unser Recht“
Einen herzlichen Gruß allen zu Beginn der 2. Woche vor Ostern mit dem Sonntag JUDIKA. Der Wochenspruch dazu lautet: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.“ Matthäus 20, 28
Heute bringen wir Euch die Predigtgedanken von Bezirksdechant Pfr. Hans Georg Junesch aus Hermannstadt. Wir tun das im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes!
Lasst uns zuerst mit allen Betern dieser Welt einstimmen in die Worte des 43 Psalms:
Schaffe mir Recht, Gott, und führe meine Sache wider das treulose Volk und errette mich von den falschen und bösen Leuten! Denn du bist der Gott meiner Stärke: Warum hast du mich verstoßen? Warum muss ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich drängt? Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten und bringen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung, dass ich hineingehe zum Altar Gottes, zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist, und dir, Gott, auf der Harfe danke, mein Gott. Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.
Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es war im Anfang jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Felix Mendelssohn Bartholdy, Psalm 43 – www.youtube.com/watch
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Das Wort der Heiligen Schrift für den Sonntag Judika finden wir im Buch des Evangelisten Markus, im 10. Kapitel:
Es gingen zu Jesus Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen zu ihm: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, was wir dich bitten werden. Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue? Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das zu geben steht mir nicht zu, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele. (Markus 10, 35-45)
Liebe Gemeinde,
wenn man mit Siebenbürger Sachsen über Recht spricht, so denken sicher viele an den Goldenen Freibrief und das Eygenlandrecht. Die meiste Zeit der Sachsengeschichte über war das die Grundlage für das Bestehen der Gemeinschaft und sicherte Privilegien, zumindest auf Königsboden, als auch viele persönliche Freiheiten. Doch musste das Recht immer wieder neu eingefordert werden, von manchmal mehr, manchmal weniger willigen Herrschern; aber es wurde gewährt, über viele Jahrhunderte hinweg. Es war Gemeinschaftsrecht.
Im 20. Jahrhundert hat sich die Sicht geändert. Die völkische Zeit, der Krieg, Deportation und Enteignung, Unterdrückung im Nationalkommunismus, Chaos im Postkommunismus – die jüngere Vergangenheit, von vielen Heutigen noch erlebt, ist geprägt von persönlich erlittenem Unrecht. Auch wenn das Unrecht gemeinschaftlich zugefügt wurde, das persönliche Empfinden, die Individualität, war in den Vordergrund gerückt. Individuelle Rechte des modernen Menschen, wie die Freiheit zur Selbstbestimmung in der Meinungsäußerung, im Eigentum und in der Bewegungsfreiheit wurden nur noch begrenzt oder gar nicht mehr gewährt. Denn die übergeordneten Instanzen, wo das Recht eingefordert werden konnte, waren dazu nicht willig. Die Konsequenz war bald eindeutig: Auch wenn die Gemeinschaft schwer litt – für die meisten war das eigene Überleben wichtiger.
Ein äußerst interessantes Beispiel in diese Richtung ist die Episode aus dem Leben Jesu mit seinen Jüngern, wie sie uns das heutige Evangelium schildert. Zwei von den Jüngern meinen, ihnen stünde das besondere Recht zu, vor den anderen privilegiert zu werden. Ähnlich wie bei der Gefolgschaft eines Königs: Treue und tapfere Begleiter im Krieg werden im Falle des Sieges in der neuen Ordnung mit wichtigen Ämtern belohnt. Sie dürfen mitregieren. Heute ist das immer noch gut nachvollziehbar. König hin, Partei her, geändert hat sich an dieser Handlungsweise auch in demokratischen Zeiten nichts, oder? Wahlkämpfe sind schließlich auch Kämpfe.
Doch Jesus ist kein solcher „Herrscher“. Erstens einmal hinterfragt er die Absicht der beiden Eifrigen. Meint ihr, die Verantwortung mittragen zu können, mit allen Konsequenzen?, fragt er zurück. Als sie trotzdem bejahen, eröffnet er ihnen die wahren Hintergründe der zukünftigen Ordnung. Hier geht es nicht um Menschenwerk, sondern es bleibt Gottes Entscheidung, wie er die treue Gefolgschaft belohnt. Wir sehen, die Frage wird auf eine ganz andere Ebene gehoben. Jesus sagt aber nicht definitiv: Nein, euch steht das nicht zu! Vielmehr, die Entscheidung bleibt vorerst offen. Alle haben eigentlich prinzipiell das Recht, an Gottes Herrschaft teilzuhaben. Wir sehen das auch an der Reaktion der anderen Jünger, die sich gegen den Anspruch von Jakobus und Johannes auflehnen.
Die Frage nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit ist auch heutzutage eine schwierige Frage. Doch sie betrifft uns direkt. Es war nicht nur das Ziel des Wirkens Jesu, das Reich Gottes schon hier auf Erden aufzurichten. Es ist sollte auch weiterhin das Ziel der Kirche sein. Nicht im Sinne von Kreuzzügen oder Dschihad. Trotzdem stellt göttliches Recht unsere Verhältnisse auf den Kopf.
Jesus sagt seinen Jüngern: „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“
Liebe Gemeinde,
für einen aufgeklärten und liberalen modernen Christen ist es schwierig, unsere menschlichen Vorstellungen mit denen Gottes in Einklang zu bringen. Demgegenüber erkennen wir angesichts der ausgebrochenen Krisenzeit, wie sehr der heutige hochvernetzte Mensch paradoxerweise nur zu gerne in der vertrauten Ordnung verbleiben möchte, wo man sich sicher wähnt. Das kann mitunter gefährlich werden. Nämlich dann, wenn wir Gottes Rechtsinstanz nicht mehr in Anspruch nehmen. In Zeiten äußerster Not verlieren wir dadurch die Apellationsinstanz. So eine Zeit ist jetzt angebrochen.
Die einzelnen Staaten haben sich abgeriegelt, in den Orten herrscht Ausgehsperre. Es ist vielleicht noch schlimmer als zu Kriegszeiten. Barrikaden gegen den Feind werden aufgebaut – doch wer ist der Feind? Jede und jeder kann es sein. Wer soll daher helfen? Werden es die Sozialarbeiter der Kommunen schaffen, den Senioren das Lebensnotwendige zu Hause vorbeizubringen? Darf Kirche mithelfen? Darf sie die Isolation durchbrechen, wenn die Not groß wird? Ganz zu schweigen von den Spitälern. Selbst dort ist es schwer, die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten. Doch die schwerste Frage ist nicht, wer helfen kann. Viel schwerer wird es sein, die Entscheidung zu treffen, wem geholfen werden kann. Hier greift die Angst besonders stark um sich.
In Italien ist die Frage der Triage schon länger präsent. Wer wird weiter beatmet und wer nicht? Wer hat das Recht dazu? Die 75-Jährige, die jahrzehntelang in eben dieses Gesundheitssystem eingezahlt hat? Oder doch nicht, weil nicht genügend Krankenbetten und Beatmungsgeräte vorhanden sind, und Jüngeren Priorität eingeräumt wird, um nicht zu sagen, sie werden privilegiert.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus,
letztendlich hofft wohl eine jede und ein jeder von uns, dass dieser Kelch vorübergeht. Letztendliche Hoffnung? Geht es letztlich nicht um mehr, zumindest aus Sicht der Jesus-Gefolgschaft? Wie relevant ist für mich die Frage: Werde ich dereinst, in Gottes Herrlichkeit, dabei sein? Nicht vorrangig zu den andern, sondern gemeinsam mit ihnen?
Diese Frage zu stellen ist ausschlaggebend für das Überwinden, besonders jetzt in einer so noch nie dagewesenen Krisenzeit. Darum muss Klartext geredet werden. Auf der sinkenden Titanic hat die Kapelle weitergespielt. Seit Jahren beschwören wir umsonst das sinkende Schiff „Terra“. Jetzt wird womöglich alles anders. Gott, steh uns bei, so wie du deinen Sohn, unsern Herrn Jesus Christus letztendlich nicht verlassen hast.
„Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben“, sagt die Stimme aus der Höhe zu der christlichen Gemeinde (Offenbarung 2, 10). Das ist mein und dein Recht, das wir alle gleichermaßen von Gott einfordern können – auch in Nach-Corona-Zeiten. AMEN.
Lied: „Holz auf Jesu Schulter“ (Evangelisches Gesangbuch EKD Nr. 97)
https://www.youtube.com/watch?v=GfUD9ozpKz8
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Wir treten im Gebet vor Gott!
Treuer, liebender Gott, wir bitten dich, sei mit uns in diesen schweren Zeiten der äußeren und inneren Not. Du rufst uns wieder zu: Kehrt um, entdeckt euch neu. Entdeckt eure Lebensumwelt neu, euren Lebensstil, eure Verantwortung in dieser Welt. Entdeckt mich neu, der ich immer für euch da bin und mich von euch finden lasse, wenn ihr mich sucht. Ruft mich an, fordert euer Recht als meine Kinder und ich will es euch gewähren.
Herr Gott, himmlischer Vater, du Lebensgeber, erbarme dich unser; denn uns droht, den Glauben an deine Güte und Barmherzigkeit zu verlieren.
Herr Gott, Jesus Christus, du Lebenserlöser, erbarme dich unser; denn wir stehen vor der Gefahr, unsere Hoffnung auf deine Hingabe aufzugeben.
Herr Gott, Heiliger Geist, du Lebenserhalter, erbarme dich unser; denn wir tun uns schwer, deine Liebe zu erkennen, die uns in Gnade tragen möchte, durch alle Angst hindurch, dir entgegen.
Und was ich sonst noch auf dem Herzen habe, bringe ich in der Stille vor dich.
Vaterunser ...
Mit der Zuversicht gesegnet zu sein, gehen wir weiter in den Tag.
Es segne und behüte uns der allmächtige und barmherzige Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist