Mit Mirjam ins neue Jahr


Mit Mirjam ins neue Jahr

„Da nahm Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester, eine Pauke in die Hand, und alle Frauen folgten ihr nach mit Pauken im Reigen. Und Mirjam sang ihnen vor: Lasst uns dem Herrn singen, denn er hat eine herrliche Tat getan; Ross und Reiter hat er ins Meer gestürzt." Ex 15, 20‐21

Mirjam, du Schwester aus frühesten Zeiten. Wenn dein Name genannt wird, dann habe ich dieses Bild vor Augen: Es ist in rot-orangenen Farbtönen gehalten, als ob etwas zur Ruhe käme, als ob sich eine Gefahr gerade läge.  Unten die Wüste, in der Mitte das Rote Meer und das Schilf, im Hintergrund die Pyramiden. Dies ist ein wichtiges Moment: Gott hat sein Volk durch das Meer geführt, große Gefahr abgewendet, vorbei ist die Sklaverei. Die Zukunft ist offen. Und in der Mitte des Bildes bist du, Mirjam, dein Blick ernst, vielleicht ein wenig erstaunt, erleichtert gen Himmel gerichtet. In deinen Händen die Pauke, die Bewegung deines Leibes deutet an den Gesang und den Tanz, von dem die Bibel erzählt.

Mirjam, es steht so wenig über dich in der Bibel. Verglichen mit deinen jüngeren Brüdern, Mose und Aaron, kommst du in den biblischen Erzählungen auffällig seltener vor. Es gibt keine Geschichte, die dich einführt, geschweige denn eine Berufungserzählung, wie jene des Mose (vgl. Ex 3-4). Im Kontext der Geburt des Mose bist du die namenlose Schwester des Hauptdarstellers. Ausdrücklich mit Namen begegne ich dir erst nach dem Schilfmeerwunder recht unvermittelt, als Prophetin.

»Prophetin« nennt dich die Bibel.

Debora (Richter 4,4), Hulda (2.Könige 22,14) und Noadja (Nehemia 6,14) sind die einzigen anderen Frauen in der Bibel, die als Prophetinnen bezeichnet werden. In Num 12,2 erklärst du deine prophetische Rolle: du behauptest, dass Gott „mit" dir gesprochen habe. - Ebenso möglich wäre eine Übersetzung, dass Gott „durch" dich gesprochen habe, das die Verkündigung der Worte Gottes einschließt. Propheten bringen Gottes Wort zu uns, tragen unser Wort hin zu Gott. Mirjam, du »pauktst« die Verheißungen Gottes in die Herzen ängstlicher Menschen und gibst tanzend und singend zurück an Gott den Dank aller Frauen.

Du singst ein Lied und deutest theologisch das rettende Handeln Gottes an seinem Volk. Du rufst auf zum Lobpreis über den Untergang der feindlichen Kriegsmaschinerie. Die Frauen folgen dir und tanzen.

Die Frauen tanzten. Mirjam, heute gibt es immer noch dieses leicht spöttische Lächeln, wenn es heißt: die Frauen tanzen. Am Schilfmeer wird nur von Frauen berichtet, die tanzten, aber weder damals noch später war dieser Ausdruck von Gefühlen nur auf Frauen beschränkt. König David „tanzte mit ganzer Hingabe vor dem HERRN her“ (2 Sam 6,14), weil er sich so unbändig über die zurückgewonnene Bundeslade freute. Der Prophet Jeremia übermittelt den Exilierten ein göttliches Trostwort, das ihnen mit Bildern voller Tanz und Musik ihre Zukunft ausmalt (Jer 31,4.13): „Du wirst dich wieder schmücken mit deinen Pauken, wirst ausziehen im Reigen der Fröhlichen. … Dann freut sich die Jungfrau beim Reigentanz, ebenso Junge und Alte zusammen“. Es gibt eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz (Prediger 3,4).

Und im Gleichnis vom gütigen Vater hört man schon von Weitem „Musik und Tanz“ (Lk 15,25) von dem Fest her schallen, das aus Freude über die Heimkehr des verloren geglaubten Sohnes gefeiert wurde.
Wie vertraut sind mir die Worte des Psalmisten (Ps 30,12f): Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt, mein Trauergewand hast du gelöst und mich umgürtet mit Freude. Darum singt dir mein Herz und will nicht verstummen. Herr, mein Gott, ich will dir danken in Ewigkeit.

Und dann denke ich an dich, Mirjam, du Schwester aus frühesten Zeiten.

Elfriede Dörr

Reihe: Autorinnen und Autoren schreiben im "Jahr des 30-jährigen Ordinationsjubiläums von Frauen"