Nachruf auf Prof. Dr. Dres. h.c. Paul Philippi


Prof. Dr. Dres. h.c. Paul Philippi

Am 27. Juli 2018 ist Professor Dr. Dres. h.c. Paul Philippi nach einem längeren Leiden in Hermannstadt friedlich verschieden. Um ihn trauern, mit der Familie, die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien, die gesamte deutsche Gemeinschaft in Rumänien, die Siebenbürger Sachsen in Deutschland und weltweit sowie die Freunde, Weggefährten und Verehrer hier und im Ausland, so wie es das Landeskonsistorium als Nachricht und Mitteilung hinausgegeben hat.

Bei der Feier seines 80. Geburtstages im Festsaal des Bischofshauses hat Paul Philippi am Schluss seines ausführlichen Rückblicks auf sein Leben gewissermaßen auch ein Abschiedswort hinterlassen. Er meinte: „Jetzt bin ich an der Grenze angekommen, die der Psalmist für unser Leben markiert hat. So habe ich denn die Dinge ins Auge zu fassen,-die jenseits dieser Grenze auf uns warten. Wie ich mich dem zuzuwenden versuche, will ich euch durch drei Gedichte andeuten, die mir erst während meiner Hermannstädter Zeit zugewachsen sind /.../. Zuerst ein protestantisches ´Zehn-Bitten-Gebet´ aus dem Geist des 19. Jahrhunderts von Achim von Arnim.“ Dort heißt es am Schluss: „Gib Flügel dann und einen Hügel Sand, den Hügel Sand im Vaterland, die Flügel gib dem abschiedsschweren Geist, dass er sich leicht der schönen Welt entreißt“. Und Paul Philippi fügte hinzu: „Den Hügel Sand habe ich mir in Kronstadt bestellt.“

Das zweite Gedicht, das er zitierte, stammt von Lucian Blaga, in dem der Dichter über „Ursprung“ und „Quelle“ meditiert und darüber, ob man auf dem Weg, wo es kein Zurück gibt, zu dem Ursprung, zur Quelle zurückkehrt.

Und im dritten Gedicht, von Andreas Gryphius, einem Abendlied, das er im vollen Wortlautwiedergab, heißt es am Schluss: „Lass, wenn der müde Leib entschläft, die Seele wachen. Und wenn der letzte Tag wird mit mir Abend machen, so reiß mich aus dem Tal der Finsternis zu dir.“

Paul Philippi war für das, was auf uns wartet, bereit und auf das Ende vorbereitet.  Und doch wurden ihm weitere fast 15 Jahre geschenkt, in denen er  ̶  im Geist wach und bei  gesegneter Gesundheit – noch viel erfahren sollte, Beachtliches leisten konnte und uns Entscheidendes hinterlassen durfte. Nun ist er zu den Ursprüngen zurückgekehrt, zu Gott dem Lebendigen, zum Anfang und Quell des Lebens. Er hat das Leben von früh auf in tiefer Bewusstheit gelebt, mit klaren Vorstellungen und Erwartungen von seiner Gestaltung und Zukunft. In einer Andacht über ein biblisches Lieblingswort hat er bereits in den 70er Jahren das zum Ausdruck gebracht, wonach man immer wieder, aber besonders am Ende eines Lebens fragt. Es lautet: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele.“ Bei Paul Philippi heißt es in seiner eigenen Übersetzung: „wenn er...Schaden nähme an dem, was sein Leben ausmacht.“ (Matthäus 16, 26). Diese Deutung lässt erkennen, was für sein gesamtes menschliches Verhalten  und theologisches Verständnis der „Sinngebung“ des Lebens im Glauben bestimmend war. Es gilt für den Einzelnen als „Lebenssubstanz“ und gleichermaßen auch für die Gemeinde. Und diese war für ihn die siebenbürgisch-sächsische Gemeinde, auch und vor allem als Frage im Blick auf die Zukunft, im Sinn von: „Wo wollen oder können wir unser Leben noch auf eine gemeinsame, siebenbürgisch-sächsische Substanz beziehen?“ Das war sein eigentliches Lebensthema, aus dem er für sich und für seine Mitmenschen Mut und Hoffnung geschöpft hat, auch in bewegten Zeiten. Es ist das Konzept eines Lebens, das sich konsequent selber treu geblieben ist, so wie auch Goethe es ausspricht als eines der „Urworte“: „Nach dem Gesetzt, wonach du angetreten - so musst du sein, dir kannst du nicht entfliehen“.

Paul Philippi hielt diese Andacht in einer Zeit (1975), als er in seinem Leben schon viel an Welt „gewonnen“ hatte, das heißt, weit über das hinaus erreicht hatte, was er sich bereits in seinen jungen Jahren gewünscht: Pfarrer oder (Mittelschul-)Professor zu werden, gleich seinen Vorfahren. Er hatte, trotz Krieg, Gefangenschaft und schweren Leiderfahrungen  ̶  „wie durchs Feuer hindurch“ gerettet und bewahrt (so in einer späteren Predigt)  ̶  Theologie, Geschichte und Germanistik studieren können. Bereits als junger Akademiker wurde er zunächst in Erlangen und nach seiner Promotion Universitätsprofessor in Heidelberg. Hier, an der Heidelberger Universität, hat er Jahre lang das 1954 gegründete Diakoniewissenschaftliche Institut der Theologischen Fakultät als Direktor geleitet (1971-1986) und galt bald, auch mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet, als weltweit anerkannter Fachmann auf dem Gebiet der Diakoniewissenschaft.

Jedoch dieses Gesetz, „nach dem er angetreten“ war  Prägung durch die siebenbürgische Erde und die sächsische Welt, in der Paul Philippi als Kind und als Jugendlicher aufgewachsen ist, die er vor allem in den Gemeinden kennengelernt hatte, und die er dortselbst erlebt und in seinem späteren theologischen Werk als seine „eigentlichen Lehrmeister“ bezeichnet hat. So ist seine erste bedeutende Schrift nicht zufällig eine Studie über die „Kirchengemeinde als Lebensform“ (1959), in der er das siebenbürgische „Andere“, das Adolf Meschendörfer in seiner Elegie in künstlerischen Bildern beschrieben hat, herausarbeitet. In dieser und in anderen Schriften hat Paul Philippi das Brauchtum der Versöhnung als „Paraliturgie“, im Zusammenhang mit der Abendmahlsfeier, in ihrer horizontalen Dimension herausgestellt und sich diesem wichtigen Aspekt in unserer Kirche in seiner theologischen Dissertation über „Abendmahlsfeier und Wirklichkeit der Gemeinde“ (1960) gewidmet. Damit hat für ihn die Sicht auf die „Sozialgestalt der Kirche“ an Bedeutsamkeit gewonnen und zum Konzept einer „diakonisch integrierten Ekklesiologie“ und einer „christologischen Ekklesiologie“ geführt. Das war nun das Thema, das an der Heidelberger Theologischen Fakultät zum Mittelpunkt seiner Arbeit wurde und deren Ergebnisse in einer Reihe von Publikationen nachzulesen sind. Hinweisen möchten wir auf den 2017 in diesem thematischen Zusammenhang unter dem Titel „Begriff und Gestalt. Zu Grund-Sätzen derDiakonie“ erschienen Band und auf die Fülle der von Paul Philippi sowie anderen Autoren darin gezeichneten Beiträge, die anlässlich des Symposiums zum 90. Geburtstag von Paul Philippi vorgestellt worden sind.

Die schon immer enge Verbundenheit Paul Philippis mit seiner Heimat Siebenbürgen in Deutschland, und die permanente Anteilnahme an der damals vieldiskutierten Problematik von „Bleiben oder Gehen“ führte zu wiederholten Stellungnahmen aus der Sicht des engagierten Historikers, die zu einer recht verstandenen „Streitkultur“ aufriefen. Als Mitbegründer des neuen „Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde“ und als einer der bedeutendsten Vertreter einer neuen Generation von Historikern der Siebenbürger Sachsen, wusste er sich der ehrwürdigen Tradition unserer Geschichtsschreibung verpflichtet. Und das als langjähriger Mitherausgeber der Publikationen des „Arbeitskreises“ in dessen wichtigsten Schriftenreihen, und zwar des „Siebenbürgischen Archivs“, der „Studia Transsylvanica“ und der „Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens“.

Der frühe Wunsch, in seine Heimat zurückzukehren und dort als Pfarrer zu dienen, den er seit dem Beginn seiner Studien in Erlangen gehegt hatte, konnte lange Zeit nicht erfüllt werden. Doch gelang es schließlich – nach einem Lehrauftrag am Hermannstädter Theologischen Institut 1978 - ihn als Professor zu berufen, so dass er 1983, gemeinsam mit seiner Frau Irmentraut, endgültig nach Siebenbürgen übersiedelte. Durch ihre feste Überzeugung, sie müssten hier, in Siebenbürgen ihrer Heimat und ihrer Gemeinschaft dienen, konnten sie auch die nicht leichte Entscheidung fällen, ihre damals zum Teil noch unversorgten fünf Kinder in Deutschland zurückzulassen. Die Rückkehr in die Heimat war jedoch nicht allein ein großer Gewinn für unsere Theologie, unsere Kirche und unsere Gemeinschaft insgesamt, sondern galt auch als eine „Zeichensetzung“ für andere in Deutschland, den Mut aufzubringen, diesen Weg ebenso zu wagen, oder für hiesige Landsleute, in der Heimat zu bleiben. Als Professor in Hermannstadt konnte sich Paul Philippi nun mit weitreichender Wirksamkeit als Prediger in der ganzen Landeskirche, als Referent bei wissenschaftlichen und theologischen Veranstaltungen sowie als Seelsorger, vor allem für Pfarrer betätigen, die seinen Rat suchten. Dass er in jenen schwierigen Zeiten und bei den damaligen vorgegebenen Bestimmungen der Kirchenordnung in keine kirchlichen Gremien berufen werden konnte, hat ihn geschmerzt  ̶  wie er in seinem Rückblick zu seinem 80. Geburtstag bekennt. Die Berufung in den Rat für Rechtsfragen der EKR nach der Verabschiedung der Kirchenordnung 1997 hat in ihm den Kirchenmann und Kirchenrechtler gleicherweise gefunden.

Doch standen Paul Philippi dafür nach der „Wende“ 1989/90 mit großer Verantwortung verbundene Ämter im neu gegründeten „Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien“ offen, eine historische Herausforderung, die er im Sinne der lutherischen Theologie und als Kenner der evangelisch-sächsischen Tradition der Zusammengehörigkeit von „Christengemeinde“ und „Bürgergemeinde“ nicht nur als gut vertretbar wahrnahm, sondern als Fortsetzung der engen Verbundenheit und Zusammenarbeit von „Nationsuniversität“ der Siebenbürger Sachsen und ihrer „Geistlichen Synode“ begrüßen und gutheißen konnte. Als Mitbegründer des Forums wurde er später als Vorsitzender des DFDR ein bekannter und geachteter Spitzenvertreter der deutschen Gemeinschaft in Rumänien, als mutiger Kämpfer für deren Rechte als Minderheit, mit seiner unüberhörbaren Stimme im eigenen Staat und ebenso im Ausland, vor allem in Deutschland, als herausragender Politiker wahrgenommen. Paul Philippi hat wesentlich dazu beigetragen, dass nicht mehr bloß „über“ die deutsche Minderheit, sondern „mit“ ihr gesprochen und verhandelt wurde. Seine zahlreichen politischen Stellungnahmen sind, neben den historischen und theologischen Beiträgen in den Büchern „Land des Segens?“ und „Weder Erbe noch Zukunft?“, in den zwei umfangreichen Bänden „Kirche und Politik“ für die Nachwelt festgehalten. Seine präzise Sprache und seine pointierte Eloquenz bei der Behandlung der brennenden Fragen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Siebenbürger Sachsen und der Deutschen in Rumänien insgesamt hat er sich bis zu seiner Erkrankung erhalten, die ihn mit einem Mal „sprachlos“  gemacht hat.

Doch sein Vermächtnis bleibt uns erhalten, und sein Werk wird für zukünftige Generationen weitersprechen und ihn in den Herzen – nicht nur seiner Familie – sondern auch seiner Kollegen, Freunde und Verehrer lebendig erhalten. Wir ehren Paul Philippi als einen der bedeutendsten Männer, mit dem eine Generation der namhaften Theologen und Politiker, aber auch der verdienten Historiker und Geisteswissenschaftler unserer Kirche und Gemeinschaft zu Ende geht.

Bischof em. D.Dr. Christoph Klein