Ostern - mit dem Herzen sehen


Der Altar aus Großschenk. Bild: Stefan Bichler

Liebe Leserin, lieber Leser,

lade Euch herzlich ein, gemeinsam der Osterbotschaft nachzugehen, wie sie uns vom Evangelisten Johannes vermittelt wird: „Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben!“ (Johannes 20,29).

Seit dem Regierungswechsel in den Vereinigten Staaten, Anfang des Jahres, wird in vielen Kreisen immer lauter vom sich einnistenden Misstrauen in vielen Bereichen gesprochen. Leider nicht nur gesprochen, sondern auch empfunden. Die Auferstehung Christi setzt einen klaren, unmissverständlichen Kontrapunkt dazu: Sie steht für ein tiefes Vertrauen, das über das Sichtbare und Spürbare hinausgeht.

In der heutigen Welt, die oft von Zweifeln, Ängsten und Unsicherheiten geprägt ist, wird unser Vertrauen, wird unser Glaube, auf eine harte Probe gestellt. Wir sehen die Herausforderungen, die uns umgeben – Kriege, Ungerechtigkeiten und persönliches Leid. Der Blick in die Welt mag uns manchmal schaudern lassen, doch genau hier wird die Kraft unseres Glaubens offenbar.

Thomas, der Jünger, wollte die Wunden Jesu mit eigenen Augen sehen und mit eigenen Händen ertasten. Auf dem Großschenker Altar in Siebenbürgen wird das eindrücklich dargestellt. Er war bereit, an das Unmögliche zu glauben, aber nur, wenn er es selbst erleben konnte. Bin ich, sind wir, viel anders als er. Wollen wir nicht auch Beweise, greifbare Zeichen für unseren Glauben? Doch Jesus zeigt uns, dass der wahre Glaube sich nicht nur auf das Sicht- und Fühlbare stützt. Er lädt uns ein, unseren Blick zu erheben und über das hinauszusehen, was wir mit unseren physischen Augen wahrnehmen.

Das „Dennoch“ des Glaubens, oder mit den Augen des Herzens sehen, ist eine wunderbare Antwort, mit der wir auf die Zweifel, Ängste und Unsicherheiten, ja selbst auf Leid und Tod,  reagieren können. Der Auferstandene fordert Thomas und mit ihm uns alle heraus, inmitten von Zweifeln, in Zeiten der politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Umbrüche und Unsicherheit und inmitten des Leids, unser Herz und unseren Geist für eine tiefere Wahrheit zu öffnen. Der Glaube ist nicht einfach eine emotionale Reaktion oder ein intellektuelles Bekenntnis, sondern eine Lebenseinstellung, die uns befähigt, Liebe und Hoffnung in die Welt hinein zu geben.

Wir sind seit Ostern als Christen beschenkt mit Licht und Hoffnung. Daher auch berufen Licht und Hoffnung zu spenden, selbst wenn und gerade dann, wenn sich dunkle Wolken über unserer Welt und unserem Lebenshorizont abzeichnen. Der auferstandene Christus ist das Zeichen für uns, das selbst aus dem Tod neues Leben entstehen kann. Kein minderer als der Herr des Lebens selbst sagt uns zu, dass wir selig sind, uns glücklich schätzen können, wenn wir glauben, ohne gesehen zu haben. Das bedeutet, dass unser Vertrauen in Gott und in seine Liebe stärker ist als die sichtbare Realität von Misstrauen und Unsicherheit.

In dieser Osterzeit haben wir die Möglichkeit, unseren Glauben zu erneuern und zu stärken. Das Licht der Auferstehung will in unseren Herzen leuchten und uns dazu inspirieren, aktiv an der Veränderung zum Guten in unserer Familie, in unserer grenzübergreifenden und zusammenrückenden Gemeinschaft, in unserer Welt mitzuwirken.

Unsere Welt ist hungrig nach Liebe und Hoffnung. Darum kann sie keiner, selbst Trump und Putin, und wie die Diktatoren unserer Zeit alle noch heißen mögen, besiegen. Wir brauchen nicht mehr als die Kraft der Liebe, der Hoffnung und des langen Atems, um die Schatten zu vertreiben und um Frieden und Versöhnung zum Durchbruch zu verhelfen. Darauf lasst uns bauen und dem Herrn des Lebens und dieser Welt vertrauen.

In diesem Sinne wünsche ich Euch ein frohes und gesegnetes Osterfest. Möge die Botschaft der Auferstehung in unseren Herzen sich lebendig erweisen im Dennoch des Glaubens und in der Liebe und Hoffnung, die wir erfahren und weiterschenken.

Reinhart Guib, Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien