Reformationstag 2020: Predigt von Vikarin Angelika Beer


Vikarin Angelika Beer (Gemeindeverband Neppendorf)

Gnade sei mit euch und Frieden von Gott unserem Vater und von unserem Herrn und Heiland Jesus Christus.

Liebe Gemeinde,

„hör nicht auf zu singen“, hat sie von ihrem Mann noch im Ohr. Hör nicht auf zu singen. An seinem Sterbebett hat er es seiner Katharina gesagt. Ihr, die 20 Jahre jünger war als er, hat er ins Ohr geflüstert: „Du wirst noch etwas länger als ich hierbleiben, und es wird nicht nur einfach. Gib dein Bestes und sei getrost, Gott wird mit dir sein. Bisher warst du die Frau von Meister Mathis, doch er wird nun von dir gehen. Wenn du nicht singst, um allen zu gefallen, werden sich die Dinge ändern. Doch fürchte dich nicht, Gott hat dir genug gegeben, mehr als jeder anderen Frau; das wird Er nicht von dir nehmen.“ Katharina Schütz Zell hieß diese Frau, die dies hörte vor beinahe 500 Jahren in Straßburg im Elsaß, im heutigen Frankreich. Ihr Mann, Matthäus Zell war zur Reformationszeit der Pfarrer am großen Straßburger Münster, mitten in der Stadt. Katharina Schütz Zell hat den Auftrag ihres Mannes angenommen – bei seiner Beerdigung hat sie gepredigt, ihre Stimme hat sie erhoben, Flüchtlinge hat sie aufgenommen und andere Gäste, Studenten und Waisenkinder. Für Gewaltlosigkeit ist sie eingetreten in Wort und Tat und für Frieden miteinander. Sie hat Verstorbene beerdigt, die von der Kirche als Ketzer angesehen wurden und ausgeschlossen waren. Katharina Schütz Zell und Matthäus Zell aus Straßburg sind genauso Gesichter der Reformation wie Katharina von Bora und Martin Luther in Wittenberg.

Das Predigtwort für den heutigen Reformationstag hören wir wie es geschrieben steht beim Evangelisten Matthäus im 10. Kapitel (Verse 26b–33):
Jesus Christus spricht: Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt von den Dächern.
Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet viel mehr den, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle. Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Haupt alle gezählt.

Darum fürchtet euch nicht; ihr seid kostbarer als viele Sperlinge. Wer nun mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem Vater im Himmel. Der Herr segne diese Worte an unseren Herzen.

Liebe Gemeinde,

„Singe nicht, um allen zu gefallen“, gibt Matthäus Zell seiner Katharina mit auf den Weg. Und Jesus sagt seinen Jüngerinnen und Jüngern: Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt von den Dächern. Auch Martin Luther hat das vor 500 Jahren angetrieben. Nachdem er im Jahr 1517 seine 97 Thesen veröffentlicht hat, mit deutlicher Kritik am Umgang der Kirche mit dem, was ihr anvertraut ist – die Menschen, das Geld, der Besitz –, hat er 1520 vor allem geschrieben. Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. Auch dies hat Martin Luther angetrieben, er wollte, dass verstanden wird, was ihm aufgegangen ist, er wollte möglichst viele Menschen erreichen, damit sie aus ihrer inneren Knechtschaft befreit werden.

So hat er zunächst viele und lange Texte geschrieben, um seine Thesen zu erklären und um das, was er meint, zu erläutern. Im Oktober vor genau 500 Jahren entstand Luthers Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen, vorher schon, im Sommer 1520 die Abhandlung Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche und im Juni die Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung sowie Der Sermon von den guten Werken über die 10 Gebote. Und in all diesen Schriften schimmert durch, was Luther im Herbst vor 500 Jahren in Von der Freiheit eines Christenmenschen formuliert hat: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. Frei von Zwang und Machtgebaren und frei, einander in Liebe zu dienen. In der Liebe, die Gott schenkt, die Gott selbst ist. Gott hüllt uns in seine Gnade, in seine Liebe. Von dieser Liebe können wir sagen und singen und sie leben. Nach dem vielen Schreiben vor 500 Jahren hat Martin Luther danach angefangen, Liedtexte zu dichten, lateinische Lieder ins Deutsche zu übersetzen und auch Melodien zu schreiben. Ein feste Burg ist unser Gott haben wie zu Beginn des Gottesdienstes gesungen und nach dem Segen singen wir Verleih uns Frieden gnädiglich – ein altes Lied, von Luther übersetzt: Da pacem Domine. Singen und beten gegen die Furcht, gegen die Angst, die auch uns manchmal packen kann. Fürchtet euch nicht, ihr seid kostbarer als viele Sperlinge, sagt Jesus. Gott sieht deine Furcht, Gott sieht deine Angst, Gott sieht deine Fragen. Du kannst ihn um Frieden bitten, um Frieden für deine Seele, um Frieden für dein Herz.

Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten. Der Evangelist Matthäus hat diese Worte von Jesus vor beinahe 2.000 Jahren aufgeschrieben. In einer nochmal ganz anderen Zeit, als die Verfolgung von Christinnen und Christen begann. Und in den letzten Wochen haben mich die Nachrichten aus Frankreich erschreckt, ein Lehrer wurde enthauptet, eine Frau und ein Küster in einer Kirche umgebracht und ein orthodoxer Priester wurde gestern angeschossen. Lass deine Furcht und deine Angst nicht übergroß werden, fürchtet euch nicht vor dem, was ihr nicht in der Hand habt.

Und auch wir heute und hier haben vieles nicht in der Hand. Gott aber hat uns in seiner Hand. Hört nicht auf zu beten, hört nicht auf zu singen – und wenn es im eigenen Kämmerlein ist oder mit Mund-Nasen-Schutz und nicht im großen Chorkonzert.

Hör nicht auf zu singen. Von Gott, der uns Frieden gibt und Freiheit.

Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.