So bildet sich eine unhinterfragbare Tradition heraus
Ellen Ueberschär, wir feiern in diesem Jahr 30 Jahre Ordination der Frauen in der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien. Warum findest Du als Pfarrerin und als Managerin es wichtig, dass ein solches Jubiläum gefeiert und an die Geschichte von Frauen erinnert wird?
Angela Merkel hatte sechzehn Jahre das höchste Staatsamt in Deutschland inne. Seit drei Jahren ist sie im Ruhestand. Sie schreibt ihre Memoiren. Die deutsche Öffentlichkeit erwartet vor allem: Schuldbekenntnisse. Endlich soll sie eingestehen, dass sie an allen gegenwärtigen Krisen, in denen Deutschland steckt, schuld ist. Und zwar ganz allein. Das ist irgendwie lachhaft und sie selbst nimmt das gelassen und mit Humor zur Kenntnis. Schließlich kennt sie die Wirtschaftsdaten ihrer Regierungszeit, die Umfragen und ihre Wahlergebnisse.
Auf die Frage, ob sie aus heutiger Sicht im Jahr 2015, als die Flüchtlinge in Massen nach Deutschland strömten, etwas anders machen würde, antwortet sie: Wenn die Rahmenbedingungen genau so wären wie 2015, dann würde ich es wieder so machen. Aus dieser Antwort lässt sich schließen, dass die deutsche Öffentlichkeit im Herbst sicher enttäuscht wird. Schuldbekenntnisse sind nicht zu erwarten.
Warum erzähle ich das? Weil es für alle Frauen, die als Erste in der Geschichte in eine bestimmte Position kommen, eine ermutigende Geschichte ist. Angela Merkel ist bodenständig und verbreitet keinen Glamour. Dafür Klugheit, scharfe Analyse und eine große Portion Humor. Sie ist ein Vorbild. Nicht einmal ein besonders feministisches. Sie strahlt diesen typischen, mittel-und osteuropäischen Pragmatismus aus, mit dem Frauen, geschult durch die Diktaturen, ihre Aufgaben wahrnehmen. Sie fragen nicht - darf ich das, kann ich das überhaupt? Sie tun es einfach. Sie sind gut ausgebildet und haben keine Berührungsängste mit der Verantwortung.
Als in Berlin, mitten im Zweiten Weltkrieg, die ersten Pfarrerinnen ordiniert wurden, war ein ähnlicher Pragmatismus leitend. Heerscharen von Theologen hatten bis dahin seitenweise Argumentationen vorgetragen, warum Frauen keinesfalls das Pfarramt ausüben können. Wer heute diese Texte nachliest, entdeckt kein einziges stichhaltiges theologisches Argument. Vielmehr finden sich Ressentiments, Vorurteile und Argumente, die ungefähr so lauten: Das war schon immer so. Deshalb muss es immer so bleiben.
Nun aber, mit dem Beginn der 1940er Jahre, war eine Situation eingetreten, in der Gemeinden einfach Ordinierte brauchten - irgendjemand musste die Toten beerdigen, die Kinder taufen, die Gottesdienste halten. Und da waren es zuerst die Vikarinnen, die eigentlich voll ausgebildete Pfarrerinnen waren. Das waren nur wenige. Fast überall aber lebten Pfarrfrauen und Gemeindehelferinnen, von denen viele eine gute theologische Ausbildung hatten. Sie hielten die Kirche über Wasser, als das Land den Krieg erntete, den es angefangen hatte. Die Berichte aus den Gemeinden deuten an keinem einzigen Ort daraufhin, dass die Menschen die pfarramtlichen Dienste der Frauen nicht wertschätzten. Ganz im Gegenteil - sie waren dankbar, dass da jemand war, der mit Vollmacht das Wort verkündigen und christliches Leben gestalten konnte. Zudem ist bei näherer Betrachtung das Stehen am Altartisch und das Klappern mit dem Abendmahlsgeschirr, mit Oblaten und Wein eine Tätigkeit, die im Leben außerhalb der Kirche eher Frauen zugeschrieben wurde. Dennoch dauerte es in der Nachkriegszeit im Westen Deutschlands noch fast 20 Jahre, bis die Frauen den Männern im Pfarramt gleichgestellt waren. In den Kirchen der DDR war das schon Mitte der 1950er Jahre der Fall.
An all das muss immer wieder erinnert werden, auch müssen die Namen der ersten ordinierten Frauen in Deutschland und in der Ev. Kirche A.B. in Rumänien genannt und erinnert werden. Denn nur so bildet sich eine feste, unhinterfragbare Tradition heraus. Keine Frau muss dann fragen: Darf ich das? Kann ich das? Natürlich darf sie! Denn Andere vor ihr sind den Weg schon gegangen. Und am Können ist es bei den Frauen noch nie gescheitert.
Und wer heute noch zweifelt, kann sich ein Vorbild an Frauen wie Angela Merkel nehmen. Sie ist zwar keine Pfarrerin, sondern Physikerin, aber als Pfarrerstochter hat sie einen festen und starken Glauben.
Ich gratuliere der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien zum 30. Geburtstag der Frauenordination!
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Dr. Ellen Ueberschär ist evangelische Theologin. Von 2006 bis 2017 war sie die Generalsekretärin des Deutschen Evangelsichen Kirchentages in Fulda. Seit 2022 ist sie Mitglied im Vorstand der Stephanus-Stiftung in Berlin- Weißensee, einer diakonischen Einrichtung, wo sie vor allem die Themen Strategisches Personalmanagement, Unternehmens- und Strategieentwicklung sowie Nachhaltigkeit verantwortet. Ellen Uberschär ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter.
Reihe der Wortmeldungen aus der Ökumene von Elfriede Dörr