Anfang April – im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in Rumänien - fand im Teutsch-Haus in Hermannstadt eine Pressekonferenz des Bischofs statt, in der der Bischof – auch im Namen der Evangelischen Kirche in Rumänien - ein klares Bekenntnis zur Demokratie abgab. Es aber vermied, trotz mehrfacher Nachfragen der Journalisten, eine oder mehrere Kandidaten zu nennen, die sich jetzt zur Wahl stellen. Er rief alle Bürger dazu auf, sich für die Bewahrung der demokratischen, pro-europäischen und pro-euro-atlantischen Ausrichtung sowie für die Anerkennung der Meinungsfreiheit und der Toleranz jedes Menschen einzusetzen.
Hier nun der Wortlaut der Rede leicht gekürzt: „Sie wundern sich vielleicht über das Thema dieser Pressekonferenz: ´Kirche und Demokratie´. Es ist in der Tat das Thema unserer Kirche für das gesamte Jahr 2025. Dieses Jahr ist von der Kirchenleitung bereits seit Oktober 2024 zum ´Jahr der Demokratie´ erklärt worden, also einige Zeit vor den turbulenten und beeinflussten Wahlen in Moldawien, Österreich und Rumänien.
Wir haben das Thema von der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) aufgegriffen, die Ende August letzten Jahres ihre Vollversammlung in Sibiu abgehalten hat. Die GEKE befasst sich seit Jahren mit diesem Thema. In der Evangelischen Kirche in Rumänien (EKR) als Teil der GEKE wurde der Wunsch geboren, über die Grundlagen, Werte und das Handeln in Kirche und Gesellschaft unter dem Blickwinkel der Demokratie nachzudenken.
In Rumänien haben wir vier Jahrzehnte lang bitter erfahren müssen, was es heißt, in einem undemokratischen, ja totalitären, diktatorischen Staat zu leben. Umso mehr müssen wir die Freiheit schätzen lernen, die im Dezember 1989 unter Einsatz unseres Lebens in Rumänien erkämpft wurde, und den Demokratisierungsprozess, der seit 35 Jahren andauert.
Ein Pfeiler der Demokratisierung war das so genannte Andreanum. Das Andreanum war das Verfassungsrecht der Siebenbürger Sachsen von 1224 bis 1876, also mehr als 650 Jahre, mit seinem Rechts- und Schutzsystem. Dies wird später in der Ausstellung von der Leiterin des Friedrich-Teutsch-Zentrums für Kultur und Dialog, Frau Gerhild Rudolf, vorgestellt.
Die andere Säule war die Reformation und die Kirchenverfassung nach 1550, die sich ausschließlich an der Botschaft Gottes in der Heiligen Schrift und dem apostolischen Glauben orientierte und durch die die deutsche katholische Kirche als evangelisch-sächsische Kirche identitätsstiftende, demokratische Züge annahm und pflegte, die sich bis heute auf die äußeren Strukturen und die innere Kirchenordnung erstrecken.
Ein starker Impuls war auch die Erklärung des Reichstages von T0rd im Jahre 1568, in der festgelegt wurde, dass jeder Mensch sein Schicksal frei wählen kann, also ein erstes Zeugnis für Toleranz und Religionsfreiheit. Dennoch ist Demokratie sowohl in der Kirche als auch im Staat keine Selbstverständlichkeit und muss deshalb immer wieder neu gesetzlich geregelt, gelebt und praktiziert werden.
Ein gutes Beispiel ist die Wahl des Bischofs der evangelischen Kirche bis zum heutigen Tag: Zunächst äußern die Ortsgemeinden, also die Laien, ihre Vorschläge. Die drei Vorschläge, die die meisten Stimmen erhalten, werden von jeder Gemeinde den fünf Bezirkskonsistorien vorgelegt, in denen dann die Laien und Pfarrer in der Bezirksversammlung zusammenkommen und aus allen drei Vorschlägen, die die meisten Stimmen erhalten, wählen.
Auf diese Weise werden 3 Vorschläge aus den 5 Diözesen vor der Synode der Kirche vorgestellt, die in der Kathedrale des Bischofs tagt, eine Synode, die zu zwei Dritteln aus Laien und zu einem Drittel aus Priestern besteht, und die den Bischof aus den maximal 15 Vorschlägen wählt, was normalerweise mehrere Wahlgänge erfordert, einen nach dem anderen, bis einer der Kandidaten eine einfache Mehrheit hat, d.h. eine Mehrheit plus eine der abgegebenen Stimmen.
Nach zwei Wochen, in denen die Wahl angefochten und neu bewertet werden kann, wird der Bischof eingesetzt, geweiht und vorgestellt. Übrigens haben bei allen Wahlen und in allen Bereichen der Kirche, ob Laien oder Kleriker und Bischof, Männer und Frauen die gleichen Rechte.
Von der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa haben wir 12 Merkmale zum Verständnis von Kirche und Demokratie aufgegriffen, die uns herausfordern, darüber nachzudenken und weiterzudenken, was Demokratie in unserer Kirche und Gesellschaft bedeutet. Deshalb haben wir einen Kirchenkalender zu diesem Thema veröffentlicht.
Es geht darum, wie wir die Kirche nach außen und nach innen sehen, unser Verhältnis zum Staat, unseren Wunsch nach Gemeinschaft und unseren Beitrag zu einer gerechten und humanen Welt. 12 Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen, die der deutschen Gemeinschaft und der EKR angehören, geben uns anhand eines Statements und eines biblischen oder literarischen Bezugs einen Einblick in ihr Verständnis und ihre Vision von der Bedeutung und Zukunft der Kirche und der Demokratie.
Merkmale wie Angst, Gehorsam, Grenzen, auf den ersten Blick vielleicht negativ besetzt, aber realistisch, werden ebenso angesprochen wie klare Merkmale wie Partizipation, Bildung, Freiheit, Minderheit und Verantwortung oder einige sehr aktuelle Merkmale wie Wahlmöglichkeiten, Vielfalt, Wahrheit und das Wort. Sie sind in deutscher Sprache alphabetisch von Januar bis Dezember geordnet und mit einem aussagekräftigen Bild versehen.
Das Thema Demokratie mit den Merkmalen Gehorsam, Verantwortung, Wahrheit und Wort führte im November 2024 in der evangelischen Gemeinde in Bukarest zu einem runden Tisch mit Laien und Priestern über die Mission der Kirche in der heutigen Gesellschaft. So wurde ein Missionskodex veröffentlicht, der von der Versammlung der Laien, Priester und in der Kirchensynode angenommen wurde. Es sind 16 Punkten unter dem Motto unserer Kirche: „Aus dem Glauben und in der Gemeinschaft bauen wir das Leben“ (eine dazugehörige Broschüre kann bei der EKR angefordert werden). Es ist auch ein Ausdruck der kirchlichen Demokratie und eine Einladung zur Demokratie.
Gleichzeitig erneuern wir die Presseerklärung der EKR zu den Wahlen im November 2024 und weisen darauf hin, dass die Evangelische Kirche Rumäniens ihren Gemeindemitgliedern und Freunden - aber auch der gesamten rumänischen Gesellschaft - für die Wahlen im Mai 2025 empfiehlt, Kandidaten zu wählen, die sich für die Bewahrung der demokratischen, pro-europäischen und pro-euro-atlantischen Ausrichtung sowie für die Anerkennung der Meinungsfreiheit und der Toleranz jedes Menschen einsetzen.
Die Evangelische Kirche C.A. gibt diese Empfehlung auf der Grundlage ihrer Theologie, Tradition und Erfahrung ab. Aus theologischer Sicht sind die christliche Freiheit und die Toleranz aus Liebe wesentliche Tugenden. Jesus Christus ruft niemals zu Hass und Spaltung auf. Von der Tradition her hat unsere Kirche ihren Ursprung in der evangelischen Reformation in Mitteleuropa.
Durch ihre offizielle deutsche Sprache im Gottesdienst hat sie Zugang zu einer spezifischen europäischen Kultur, von der wichtige Teile der rumänischen Gesellschaft profitieren. Was ihre Erfahrungen betrifft, so hat sie im 20. Jahrhundert stark und direkt unter undemokratischen und diktatorischen Regimen gelitten, wobei einige ihrer Gemeindemitglieder vor 80 Jahren in die ehemalige Sowjetunion deportiert wurden.
Im Januar dieses Jahres gedachten wir im Teutsch-Haus dieses gewaltigen Einschlags, der zur Dezimierung der deutschen Minderheit in Rumänien führte. Mehr als 70.000 Menschen wurden deportiert, von denen 20 Prozent nie zurückkehrten, die anderen wurden nach Deutschland geschickt, was nach 1950 zur Auswanderung von Deutschen und natürlich auch von evangelischen Sachsen führte.
Trotz einer schwierigen Zeit voller politischer, wirtschaftlicher und medialer Turbulenzen und Frustrationen haben wir Vertrauen in die Reife der rumänischen Wähler, die den Unterschied zwischen einer Politik, die schädliche, extremistische Positionen vertritt, und einer Politik, die auf eine demokratische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung Rumäniens abzielt, und zwar offen, innerhalb der Europäischen Union und der NATO. Wir fordern unsere Mitbürger im In- und Ausland auf, verantwortungsbewusst zu wählen. So wahr uns Gott helfe!
Zum Schluss noch einige aktuelle Informationen der EKR: Es ist das erste Mal seit 1939, dass die evangelische Kirche mehr Mitglieder zählt als ein Jahr zuvor. Dies ist ein Zeichen der Stabilität nach vielen Jahren, in denen die Auswanderung die Reihen der evangelischen sächsischen Gemeinde gelichtet hat.
2024 gab es das zweite große Sachsentreffen in Rumänien - das 800-jährige Jubiläum des Andreanum - und 45 Treffen der Sachsen in ihren Heimatgemeinden in Hermannstadt. Das Andreanum wurde an 27 Orten im In- und Ausland ausgestellt und fast 10.000 Kataloge wurden bei den Ausstellungen verteilt. Nach August 2024 wird die Ausstellung des Andreanum erneut in Sibiu Station machen, diesmal im Hof des Teutsch-Hauses.
Ein Thema der Demokratie wird auch beim Treffen der Sachsen am 19. und 20. September 2025 in Zeiden unter dem Motto: „Freiheit macht den Unterschied“ aufgegriffen.
Die Stiftung Kirchenburgen mit ihrem neuen Geschäftsführer Cristian Cismaru lädt ab diesem Monat unter dem Titel Forti-Vacation in verschiedenen Kirchenburgen zu Veranstaltungenen mit kulturellem, gastronomischen, musikalischen, geistlichen, spirituellen sowie sportlichen Programm ein. Die nächste Pressekonferenz möchten wir dann im Juni organisieren, um dieses Thema der Neuorientierung der Kirchenburgen vorzustellen.“
Im zweiten Teil der Konferenz stellte dann die Direktorin des Teutsch Hauses, Dr. Gerhild Rudolf, die Ausstellung zum Andreanum vor, die noch bis zum Juni im Garten des Hauses zu besichtigen ist.