Was haben Jesus und „Corona” gemeinsam?


Pfr. Dr. Stefan Cosoroabă

Mit dieser Frage verabschiedet sich heute das „geistliche Netzwerk” der Landeskirche, welches seit dem Sonntag Okuli – mit und neben den Kirchengemeinden – das Vakuum ausgefüllt hat, das sich durch die Sperre von Präsenzgottesdiensten aufgetan hat.  Die Frage klingt nach Radio Erewan: Was haben Jesus und Corona gemeinsam? Denn Jesus ist für Christen der Inbegriff des Guten und „Corona” dann doch eine ganz schlimme Sache.

So grüßen wir euch am 5. Sonntag nach Ostern, dem Sonntag „Rogate“ mit dem Wort des Evangeliums von Matthäus.

Jesus Christus spricht: "Wenn du betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten!"

Im stillen Kämmerlein

Und ja, das haben Jesus und „Corona“ gemeinsam: beide haben das Gebet, das Lob Gottes und den Dank aus der Öffentlichkeit in den privaten Raum gewiesen. Nicht mehr draußen in der Sichtbarkeit soll es stattfinden, sondern Jesus schickt den Beter ins „Kämmerlein“, weil er gegen religiöse Heuchelei ist, gegen leere Worthülsen, mit denen man sich lediglich als Gottesfürchtiger inszenieren will. „Corona“ schickt die Beter ebenfalls in die Wohnungen, aus Angst und durch gesetzliche Bestimmungen. Auch wenn die Gründe von Jesus und „Corona“ grundverschieden sind, so ist der Effekt ähnlich. So mussten in der Zeit ab 15.März Familien erneut lernen, was eine Hausgemeinde – im „Kämmerlein“ im Wohnzimmer, in der Küche oder dem Arbeitszimmer – zu tun hat. Aber bilden wir uns nicht ein, wir hätten etwas gar Besonderes erlebt. Ein Blick in die Geschichte lässt uns die richtigen Relationen erkennen. So ist zum Beispiel in den Zeidener Annalen vermerkt, dass bei der großen Pest 1718, die öffentlichen Gottesdienste von Oktober 1718 bist Ostern 1720 ausgesetzt wurden!  Und in der Sowjetunion wurde das Beten gar 70 Jahre lang in die Hausgemeinde verbannt.

Insofern ist es falsch zu sagen: „Ab 15. Mai sind wieder Gottesdienste möglich!“ Denn auch bisher waren sie möglich:  nur nicht in der großen Gemeinschaft sondern eben in der Hausgemeinschaft, die Martin Luther so hoch geschätzt hat; die von der öffentlichen Gemeinde lediglich überhöht – aber nie ersetzt – werden kann. Denn, „wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“. Das galt in dieser Coronazeit sicher auch dort, wo eine Witwe oder ein Junggeselle allein mit dem Bildschirm am Küchentisch saß! Gott ist in dieser Hinsicht großzügig.

Wie ein Blinder leben

Wir kennen die wissenschaftlichen Erkenntnisse bezüglich Menschen, die das Augenlicht verlieren. Wenn ein Sinn - sogar der wichtigste - ausfällt, dann entwickeln sich die anderen großartig. Blinde können viel besser Hören, Riechen, Fühlen. Und weil die Präsenzgottesdienste ausgefallen sind, gab es in der ganzen Christenheit – auch in der EKR – genau so einen tollen Entwicklungsschub in dem Umgang mit der digitalen Welt. Menschen, die noch nie von Youtube gehört hatten, finden sich auf einmal zurecht, Eltern lernen von ihren Kindern, wie sie sich in welches Programm einloggen können. Settings werden verändert, um Zugriffe zu Kamera oder Mikro möglich zu machen. Auch auf der Seite der Verkündiger ist alles eine einzige große Fortbildung: Wie schneidet man einen Film? Was für eine App kann für Musik benutzt werden? Wie sicher ist ZOOM oder Jitsi? Programme werden en passant gelernt. TheologInnen, KirchenmusikerInnen, PresbyterInnen arbeiten intensiv zusammen, um das wichtigste Sinnesorgan der Gemeinde, den sonntäglichen Präsenzgottesdienst – zu ersetzen.  In den vergangenen Wochen ist viel Professionalität hinzugekommen.

In Dankbarkeit

An diesem Ort Dank an alle, die mit größter Kreativität Verkündigung in allen ihren Formen verbreitet haben: Von dem Glockenläuten und Trompetenklang - über den Postwurf mit Gemeindebrief - hin zu den langen Telefongesprächen, ZOOM Andachten, FB Gottesdiensten und geistlichen Beiträgen auf Youtubekanälen. Es wurde deutlich: die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien lebt!  Pfarrer und Pfarrerinnen haben sich nicht versteckt hinter ein: „Es ist halt nicht möglich" und Gemeinden sind nicht in Resignation verfallen, sondern haben gemeinsam die neuen Chancen zur Verkündigung genutzt, welche weiter reichen als bis zum Kirchenportal und Menschen von Nah und Fern eingeschlossen haben.  Insofern lässt eine Herausforderung auch Kirchen wachsen.

Besonders sollten wir heute die Massenmedien bedenken und bedanken: die visuellen, aber auch Audio-und Printmedien, die im gemeinsamen Schulterschluss das Vakuum ausgefüllt haben, welches durch die verstummten Kirchenkanzeln endstanden ist: Hermannstädter Zeitung, ADZ, Siebenbürgisches Zeitung, Radio Neumarkt, Siebenbürgen-Radio, Deutsche Sendung TVR1 und auf alle Fälle auch die hauseigene Homepage www.evang.ro.  

Nun sind ab heute, dem Sonntag Rogate, wieder Präsenzgottesdienste möglich. Möge die Sehnsucht nach Gemeinschaft von ihnen erfüllt werden, das Gebet in den Hausgemeinden nicht verloren gehen und der Schwung der Verkündigung in der digitalisierten Welt noch manchen mitnehmen. „Der Vater, der ins Verborgene sieht“ hat uns in dieser Zeit begleitet und wird es auch weiterhin tun.

Stefan Cosoroaba, Leiter des geistlichen Netzwerks der EKR

Hinweis: Das Landeskonsistorium der EKR will die digitale Verkündigung und die Zusammenarbeit zu geistlichen Inhalten mit den Massenmedien auch nach Rogate weiterführen. Dafür braucht es engagierte Mitwirkende. Gerne darf man sich bei der Redaktion von www.evang.ro melden.