Wie erlangen wir Anteil an der Himmelswelt?
Unter dem Eindruck der verheerenden Brandkatastrophe in dem Bukarester Lokal Colectiv, angesichts der Strassenproteste, an denen sich den darauffolgenden Tagen in mehreren Städten Rumäniens zehntausende Menschen beteiligt hatten und der Regierungskrise, hielt der ehemalige Bischofsvikar Pfr. i.R. Prof. Dr. Hans Klein am drittletzten Sonntag im Kirchenjahr (8. November 2015) in Schäßburg folgende Predigt:
"Als Jesus von den Pharisäern gefragt wurde, wann das Reich Gottes komme, antwortete er: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äußeren Zeichen erkennen könnte.
Man kann auch nicht sagen: Seht, hier ist es!, oder: Dort ist es! Denn: Das Reich Gottes ist schon mitten unter euch." (Lk 17,20-21)
Schwestern und Brüder,
die Frage der Pharisäer an Jesus: „Wann kommt das Reich Gottes?“ War für sie und ihre Zeit ganz zentral. Ich möchte sie heute ein wenig anders formulieren, damit sie das umfasst, was uns wichtig sein kann. Ich frage darum: Wie bekomme ich heute Anteil an der Himmelswelt?
Die Orthodoxe Kirche hat auf diese Frage eine sehr klare Antwort: Komm in den Gottesdienst. Dort tauchst du in die Himmelswelt ein, dort bekommst du Anteil daran und Kraft für den Alltag, für die ganze folgende Woche. Das hat denn auch der Patriarch gemeint, als er angesichts des schrecklichen Unglücks letzte Woche in Bukarest den Leuten sagte, sie sollten lieber in die Kirche kommen, wo sie Gott begegnen, als in die Disko zu gehen, die kaum etwas mit Gott zu tun hat und den Tod bringen kann. Von seiner und seiner Kirche Sicht war diese Aussage normal. Sie war bloß nicht entsprechend in jenem Augenblick. Sie gehört in die Verarbeitung solcher Schrecken. Eine solche Zeit war so kurz nach dem Ereignis noch nicht da.
Angesichts dieser schrecklichen Situation ist man zunächst stumm. Man kann nichts sagen. Auch die Freunde des frommen Hiob kommen zu ihm und schweigen eine längere Zeit, bevor sie mit ihm reden und ihm Ratschläge für seine Lage geben. Aber der Schrecken ist bei uns in den letzten Tagen doch auch ein wenig gewichen. Die Straße hat ganz andere Probleme hervorgebracht. Man kann sie vielleicht mit dem Dichter Heinrich Heine in die Worte fassen:
„Wir wollen hier auf Erden schon,
das Himmelreich errichten.
Wir wollen auf Erden glücklich sein,
wir wollen nicht mehr darben,
verschlingen soll nicht der faule Bauch,
was fleißige Hände erwarben.“
In der Sprache der Straße: „Spitäler nicht Kathedralen“. Es gibt die Spitäler, es ist nichts zu bauen, wohl aber viel zu modernisieren und mehr für die Gesundheit der Menschen zu tun und vieles, vieles, was das Leben in dieser Welt erfreulicher gestalten lässt. Man erwartet von den Politikern mehr Eingehen auf die wirklichen Probleme der Leute, nicht in erster Linie Selbstbereicherung. Da darf ich euch ein kleines Geheimnis verraten: Wenn man in Hermannstadt das Forum immer wieder gewählt hat, dann auch darum, weil keiner der Stadträte auch nur einmal ein Projekt eingebracht hat, an dem er selbst etwas verdient hat. Das ist in der Politik alles andere als selbstverständlich. Politik wird überall auf der Welt eigennützig missbraucht.
Nur ist bei uns in Rumänien heute das Ausmaß ein wenig zu groß. Da kann man sich schon die Frage stellen: Wie bekomme ich Teil an Gottes Himmelswelt? Oder: Was kann in Rumänien geschehen, damit wir es ein wenig besser haben und nicht so unverschämt betrogen werden. Ich habe die Hoffnung, dass unser Staatspräsident etwas in dieser Richtung bewegen kann. Und darum bete ich, so oft ich kann, dass Gott ihn leite. Und ich weiß, dass er es auch tut. Das entbindet nicht von konkreten Schritten. Aber es stimuliert die konkreten Schritte und lenkt sie, hoffentlich, in die richtige Richtung.
Nach diesen einleitenden Erwägungen kann ich nun daran gehen, auf den Text der Schrift zu achten und zu fragen: Wie bekomme ich heute Anteil and er Himmelswelt? Es gibt dazu, so weit ich sehe, von der Bibel her drei Antworten:
a) durch das Erlebnis von Wundern;
b) durch das Hören auf die innere Stimme;
c) durch das Ergreifen der Situation.
a) Eine mögliche Übersetzung unseres Schriftwortes ist: Das Reich Gottes ist unter euch. Dann ist es in Jesus präsent. Er sagt: „Wenn ich mit dem Finger Gottes Dämonen austreibe, ist das Reich Gottes zu euch gekommen.“ Das Reich Gottes kommt auf diese Welt in Wundern. Solche hat Jesu bewirkt und den Menschen das Leben verschönert. Sie geschehen auch heute. Überall dort, wo Unvorhergesehenes eintritt, dürfen wir Gott am Werk sehen. Überall dort, wo Not gelindert, Ausweglosigkeit beseitigt wird, überall dort, wo Verzweifelung neuem Mut weicht.
b) Man kann unser Schriftwort aber auch so übersetzen: „Das Gottesreich ist inwendig in euch.“ Gottes Welt kommt zu uns, wenn wir auf unsere Inneres hören. Das Innere kann Gottes Stimme sein. Und wenn wir auf sie richtig achten und uns nicht von Stimmen von außen verunsichern lassen, dann wird die innere Stimme zur Stimme Gottes. Wenn wir fragen sollten, wie wir diese innere Stimme des Gewissens von anderen Stimmen, die uns verführen möchten unterschieden können, gibt es zwei ganz klare Kriterien:
- wenn sie mich Gott näher bringt, meinen Glauben stärkt und
- wenn sie den Geboten Gottes, besonders den 10 Geboten entspricht.
Dieses Innere wird durch den Besuch des Gottesdienstes, durch das Singen von Kirchenliedern, durch gute Musik, durch Hören auf andere, gewiss auch durch die Predigt am Sonntag gefestigt. Achten wir darauf. Dann kommen wir dem Himmel näher.
c) Man kann aber auch übersetzen: „Gottes Reich ist verfügbar unter euch.“ Es ist zum Greifen nahe. Johann Wolfgang Goethe hat in einem Seiner Lieder, es trägt die Überschrift: „Erinnerung“ die Worte niedergeschrieben:
„Willst du immer weiter schweifen?
Sieh, das Glück, es ist so nah.
Lerne nur das Glück ergreifen.
Denn das Glück ist immer da“.
Gemeint ist dann: Die Herrschaft Gottes ist da, ihr müsst es nur mit offenen, mit anderen Augen sehen. Und ergreifen. Paulus wird später sagen: dem Evangelium glauben. Ich glaube, dass der Evangelist Lukas seinen Text so verstanden hat. Dies sprachlich zu begründen, ist hier nicht der Ort. Man hat freilich das Wort im Sinne von „unter euch“ oder „inwendig in euch“ wiedergegeben. Und jeweils andere Ausleger haben es in dem einen oder anderen Sinne verstanden. Aber: Die Pharisäer können schwerlich aufgefordert werden, das Reich Gottes in sich selber zu sehen. Denn sie haben keine besonders guten Absichten. Aber auch die erste Übersetzung passt nicht richtig in die Aussage des gelesen Textes, wo gesagt wird, dass das Reich Gottes nicht sichtbar in Erscheinung tritt, denn Jesus und seine Wunder konnte man sehen. Ich glaube darum, dass der Evangelist gemeint hat: das Gottesreich ist ganz nahe, du kannst es ergreifen. So ähnlich wie Goethe vom Glück gesprochen hat: Das Glück ist immer da. Es gilt bloß zuzupacken. Und wenn der Herr des Himmels und der Erde unserm Staatspräsidenten in diesen Tagen die rechte Weisheit schenkt, um die wir beten werden und um die auch er betet, dann kann ein wenig Himmel auch über unser Land kommen.
Ich wünsche euch allen, dass ihr immer wieder erlebt, dass ihr von Gott getragen und geführt seid, gerade dann, wenn ihr es nicht erwartet, dass er euch den rechten Sinn gibt, auf euer Inneres zu achten und zu hören und euch, dem Land und seinem Präsidenten, uns allen, dass er das Stück Himmel ergreift, wir es ergreifen, das für uns bereit steht.
Amen!
Prof. Dr. Hans Klein