Wir können fröhlich nach vorne schauen
Pfarrerin Christiane Schöll nimmt das Jubiläum der 30 Jahre Ordination der Frauen in der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien (EKR) zum Anlass ihren Weg aus Württemberg nach Siebenbürgen nachzuzeichnen und ihre Erfahrungen in ihren Gemeinden zu beschreiben.
Am 2. Juni 2024 etwa um 15.30 Uhr in der evangelischen Kirche von Reps: Ich knie vor dem Altar und drei meiner Kollegen führen mich in mein Amt ein. Ich bin also erst seit sehr kurzer Zeit offiziell Pfarrerin der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, und zwar für die Gemeinden des Repser Ländchens. Zusätzlich versehe ich einen Teil meines Dienstes für die Honterusgemeinde in Kronstadt. Als die Liste der Gemeinden verlesen wurde, für die ich nun zuständig bin, ging ein Raunen durch die Gemeinde. Es sind 15: Bodendorf, Draas, Deutsch-Kreuz, Deutsch-Tekes, Deutsch-Weißkirch, Galt, Hamruden, Katzendorf, Meeburg, Meschendorf, Radeln, Reps, Schweischer, Stein und Streitfort. Allerdings haben viele davon sehr wenige Mitglieder. Meine Pfarr-Kollegen im Kronstädter Bezirk sind alle Männer. Aber es gibt eine Vikarin und eine Diakonin.
Da habe ich im Vikariat in Württemberg ganz andere Erfahrungen gemacht: Als ich das erste Mal die Gemeinde besuchte, in der ich als Vikarin anfangen sollte, wurde ich mit folgendem Satz begrüßt: „Wir hatten uns eigentlich einen männlichen Vikar gewünscht.“ Die Gemeinde wurde von zwei Pfarrerinnen betreut und die Vorsitzende des Presbyteriums war ebenfalls eine Frau. Der Wunsch der Gemeinde nach einem Mann war also durchaus nachvollziehbar, aber von den etwa 20 Vikarinnen und Vikaren, die mit mir die Ausbildung begonnen haben, waren nur vier männlich. So dass diese Gemeinde mit mir Vorlieb nehmen musste. Es wird also deutlich, in Württemberg (wie auch in anderen Landeskirchen) hat sich das Geschlechterverhältnis in den letzten Jahren stark verschoben.
Als ich dann nur kurze Zeit nach dem Vikariat hierher nach Leblang kam, hatte ich Sorge, dass vielleicht Menschen aus der Gemeinde Probleme damit haben könnten, dass sie eine Pfarrerin bekommen würden und nicht einen Pfarrer. Aber das war überhaupt nicht der Fall. Ich wurde gut aufgenommen und auch jetzt im Repser Ländchen und in der Honterusgemeinde wurde ich freundlich empfangen.
Bevor ich nun in Reps meinen Dienst begonnen habe, war ich fast zehn Jahre zuhause und habe mich um unsere vier Kinder gekümmert und ehrenamtlich Vertretungsdienste übernommen, aber vor allem auch Kinder- und Jugendarbeit in den Dörfern Leblang und Cobor gemacht. Die Arbeit in Leblang und Cobor ist auch der Grund, warum wir damals hier geblieben sind, als mein Mann und ich mit unserem ältesten Sohn Simon (damals neun Monate alt) nach Leblang ins Pfarrhaus gezogen sind. Es gibt für viele Kinder in den Dörfern sehr wenige Möglichkeiten ihren Horizont zu erweitern und sich zu freien und kreativen Menschen zu entwickeln. Mein Mann und ich wollten mithelfen, dass diese Kinder und Jugendlichen bessere Chancen erhalten und haben uns deshalb entschieden, hier in Siebenbürgen auf dem Land zu leben und sind später nach Cobor (sächsisch Kiewern) gezogen.
Und nun nach mehr als zehn Jahren musste ich mir, (und mussten wir uns als Familie) noch einmal neu die Frage stellen: Möchten wir hier bleiben? Denn ich stand vor der Entscheidung, ob ich wieder als Pfarrerin einsteigen möchte. Dafür musste ich die württembergische Landeskirche verlassen, aus der ich komme, und in die EKR wechseln. Es war ein Schritt, der mir nicht leicht gefallen ist, aber ich habe ihn jetzt doch gern gemacht. Denn wir wollen hier leben und ich möchte hier arbeiten und mich als Pfarrerin einbringen. Erst jetzt, seit Ostern, seitdem ich wieder „wirklich“ arbeite, merke ich, wie sehr mir das „Pfarrerin-Sein“ gefällt. Ich bringe gerne Menschen zusammen und erzähle sehr gerne von der guten Nachricht, dass Gott uns liebt und uns befreit, so dass wir selbst mutig Verantwortung für unser Leben übernehmen können.
Genau diese Botschaft von der befreienden Liebe Gottes habe ich als Jugendliche in der Jugendarbeit erfahren und sie hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin.
Ich war ein eher schüchternes und zurückgezogenes Kind, aber als Mitarbeiterin auf Zeltlagern, in der Jungschar und der Kinderkirche habe ich mich weiterentwickelt und vor allem die Gemeinschaft unter den Mitarbeitern hat mich sehr positiv geprägt.
Ich habe mir immer gern auch philosophische und theologische Gedanken gemacht, aber Theologie zu studieren hielt ich für ausgeschlossen. Denn ich habe mir nicht zugetraut, zu predigen. In diesem Ringen, um die Frage, was ich werden soll, habe ich das Erlebnis von Mose am Dornbusch als große Bestätigung erlebt. Denn dort wehrt Mose genau mit diesem Argument seinen Auftrag ab. In 2. Mose 4 heißt es: Mose aber sprach zu dem Herrn: Ach, mein Herr, ich bin von jeher nicht beredt gewesen, auch jetzt nicht, seitdem du mit deinem Knecht redest; denn ich hab eine schwere Sprache und eine schwere Zunge. Der Herr sprach zu ihm: Wer hat dem Menschen den Mund geschaffen? Oder wer hat den Stummen oder Tauben oder Sehenden oder Blinden gemacht? Habe ich’s nicht getan, der Herr? Nun aber geh hin: Ich will mit deinem Munde sein und dich lehren, was du sagen sollst.
Bis heute fühle ich mich immer wieder von Gott bestärkt, dass ich am richtigen Platz bin. Besonders freut es mich, wenn ich bei der Predigtvorbereitung merke, dass die Ideen für die Predigt nicht allein von mir kommen, sondern dass ich Inspiration erhalte. Ich erfahre immer wieder, dass Gott mir hilft, was ich sagen soll. So ist das Predigen die Aufgabe, vor der ich am Anfang des Vikariats am meisten Respekt hatte, zu einer meiner liebsten Aufgaben im Pfarramt geworden.
Ich habe in den letzten elf Jahren mehr und mehr erfahren, wie wichtig den Menschen die Gemeinschaft in ihrer evangelischen Gemeinde ist. Denn sie haben den Wegzug ihrer Verwandten, Freunde und Nachbarn während der Wende als großen Verlust erfahren. Und in ihrer Gemeinde ist noch am ehesten der Ort, wo es sich ein wenig anfühlt wie früher. Besonders im Repser Ländchen habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, die Menschen aus ihren kleinen zerstreuten Gemeinden mehr und mehr in den Gottesdiensten zusammen zu bringen, indem ich sie immer alle zu jedem Gottesdienst einlade – sei er in Deutsch-Weißkirch, in Radeln oder in Galt. Und es gab in den letzten Monaten schon mehrere sehr schöne festliche Gottesdienste, in denen wir 80 oder mehr Gottesdienstbesucher gezählt haben. Es kommt nicht so sehr auf Zahlen an. Jesus sagt zu Recht: „wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). Aber es ist eben schön, wenn die Menschen spüren können, wir sind eine lebendige Gemeinschaft und können uns gegenseitig unterstützen. Wir müssen nicht den alten Zeiten nachtrauern, sondern es gibt Hoffnung für unsere Gemeinden und wir können fröhlich nach vorne schauen und unsere Zukunft zusammen gestalten. Denn wir sind zwar weniger als früher, aber wir sind genug, um positive Dinge zu bewirken.