Zwanzig Jahre "Charta Oecumenica"
Genau vor zwanzig Jahren, am 22. April 2001, wurde in Straßburg (Strasbourg) die Charta Oecumenica durch die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und das Consilium Conferentiarum Episcoporum Europae (CCCEE) unterzeichnet. Damals fand auf dem Podium ein symbolisches Gespräch statt zwischen einem Kirchenleitenden aus dem Westen, Karl Kardinal Lehman, und einer jungen Frau „aus dem Osten“: Dr. Elfriede Dörr.
Dieses Gespräch gab damals das Paradigma für die gesamte Veranstaltung, in der alle Fragen in gemischten Gruppen zwischen arrivierten Kirchenleitenden und jungen Kirchenaffinen erörtert wurden. Jetzt hat die italienische Kirchenzeitung Riforma Frau Dr. Dörr - nun Beauftragte für Ökumene und Fortbildung der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien (EKR) - zu einem Interview gebeten, das wir hier veröffentlichen dürfen.
Riforma: Wie viel wurde – aus heutiger Sicht, zwanzig Jahre nach der Unterzeichnung der Charta Oecumenica (CO) - von ihrem Inhalt von den Ortskirchen aufgenommen? Hat die Charta Ihrer Meinung nach die Kultur des Dialogs, der Offenheit und des Vertrauens zwischen den Kirchen gefördert?
Pfr. Dr. Elfriede Dörr: Schwer zu sagen, ob die CO die ökumenische Kultur zwischen den Kirchen tatsächlich verbessert hat. Für die einen ist sie eher eine Beschreibung dessen gewesen, was bei ihnen schon üblich ist. Sie haben es vermisst, dass die CO neue Impulse setzt, zu weiteren Schritten anregt, Mut macht weit mehr Herausforderungen zu meistern, als bereits heute schon geleistet wird. Für die anderen war die CO allerdings bereits in ihrer zahmen Beschreibung eine Zumutung. Man hat zwar im Schreibprozeß Änderungen eingebracht, war bei der Unterzeichnung in Straßburg 2001 dabei, hat vielleicht die CO noch in die eigene Sprache übersetzt. Und hat es dabei belassen. Mit anderen Worten – es kam zu keiner Rezeption der CO. In diesem Spektrum bewegt man sich wenn es um die CO geht: Für die einen ist sie Referenzrahmen, für die anderen Makkulatur.
Die Charta Oecumenica ist so oder so ein bleibender Anspruch für einen respektvollen Umgang zwischen den Kirchen. Es ist ein Maßstab, an dem man die unterschiedlichen Realitäten in Europa durchaus messen kann.
Das große Novum des ökumenischen Treffens in Straßburg war die Teilnahme von über hundert jungen Katholiken, Protestanten und Orthodoxen. Was bedeutete diese Anwesenheit? Und was kann heute der spezifische Beitrag junger Menschen zum ökumenischen Weg sein?
Ich erinnere mich wie ungewöhnlich und wie großartig das war, dass Kirchenleitende und Jugendliche in Strasbourg miteinander das Gespräch pflegten! Ob in den Bibelarbeiten, den Tischgesprächen, auf dem Podium. Wenn es um die Zukunft in der Kirche ging oder um die der Ökumene. Das war ein wichtiger symbolischer Akt! Der sagt: wir sind aufeinder angewiesen. Dann auch dies: Lasst uns doch zusammen die Herausforderungen meistern.
Heute stehen wir woanders. Während die Jugend damals vornehmlich den Alten zuhörte, so denke ich, dass heute die Alten auf die Jugendlichen hören sollten. Die jungen Menschen haben ein viel besseres Gespür für die drängenden Fragen der Welt, ohne dass sie allein diese anpacken können. Es braucht heute eine umfassendere Solidarität zwischen den Generationen, in denen die Kirchenleitende auch eine Rolle spielen sollten. Die “Bewahrung der Schöpfung” ist ein wichtiges Thema, das ich hier als Beispiel erwähnen möchte.
Sie sind Pfarrerin in der EKR. An welchem Punkt befindet sich der ökumenische Weg in Ihrem Land? Gibt es Hindernisse oder Zeichen der Ermutigung?
“Ein Schritt vor und zwei zurück”, so würde ich den ökumenischen Wegschritt in Rumänien bezeichnen. Rumänien war 2007 Gastgeberin der 3. Europäischen Ökumenischen Versammlung in Hermannstadt, meiner Heimatstadt. Das war ein paar Jahre nach dem Launch der CO in Straßburg 2001. Es war also genug Zeit für Übersetzen, Besprechen, Beraten, um eine festliche Rezeption 2007 zu markieren. Viele Menschen waren verwundert und auch enttäuscht, dass ein solcher symbolischer Akt wie die Unterzeichnung der CO durch die Kirchen aus Rumänien nicht möglich war.
Schließlich kam es während diesem wichtigen europäischen Ereignis zu einem anderen symbolischen ökumenischen Akt, einem zur “Bewahrung der Schöpfung”: kirchenleitende Männer und Frauen, aus Ost und West haben gemeinsam einen Baum gepflanzt, den ersten von einer Reihe von Bäumen, einem kleinen ökumenischen Wald. Was hat uns das gezeigt? Wenn man sich mit den theologischen Fragen in Sackgassen begeben hat, sollte man zusammen den Spaten nehmen und Hand anlegen, dort wo es notwendig ist.
Hat die Charta Oecumenica nach zwanzig Jahren ihr Potenzial ausgeschöpft? Vor welchen Herausforderungen steht die ökumenische Bewegung heute?
Mit der Pandemie ist jede Kirche so sehr auf sich selbst zurück geworfen, dass jede schauen muss, wie sie das kirchliche Leben überhaupt aufrecht erhalten kann. Die Ökumene wird – so meine Wahrnehmung – dort problemlos weiter gepflegt, wo ohnehin das Pradigma der Freundschaft Grundlage für die kirchlichen Beziehungen war, nicht der theologische Diskurs und die Klärung der Unterschiede.
Ja, ich glaube, dass die Lehrgespräche zur Klärung der Themen, die die Kirchen unterschiedlich verstehen, ihr Ziel die Kirchen näher zu bringen, verfehlt haben. Sie sollten ersetzt werden, durch andere Paradigmen. Wie wäre es, wenn die eine Kirche in der anderen die Schätze sucht, statt die Unterschiede, und diese als unverzichtbar für die Ökumene statuiert? Wie wäre es, wenn die Lehrgespräche statt der Theologie der Andersheit die Theologie der Freundschaft ökumenisch durchbuchstabieren? Denn die Kirchen sind allesamt Herausforderungen ausgesetzt, die wir gemeinsam angehen müssen, in aller ökumenischen Demut und Freundschaft.