Zwiesprache mit Gott


Mina May (Foto rechts unten: George Dumitriu); Ein Türchen zu Gottes Wunderwelt (Foto links oben: Iacob Postăvaru-Dumitriu)

Unlängst staunte ich Bauklötze, als eine Bekannte mich vorsichtig darauf hinwies, dass man sich als orthodoxer Christ nicht direkt an den Herrgott wenden dürfe. Dafür gebe es die Heiligen oder die Jungfrau Maria als zuständige Zwischeninstanzen. Aha, kapiert: man platzt nicht gleich beim obersten Chef unangemeldet ins Büro hinein! Man lässt sich bei der Sekretärin einen Termin geben, füllt ein Formular aus, beachtet die Hierarchien... wie auf der Erde so im Himmel.

Auch Wünsche formuliere man gefälligst nicht frei, so angeblich das Regelwerk, sondern greife auf dafür vorgesehene Gebetsformeln zurück: für Heilung, für Kinderwunsch, für Vergebung, für wasweißich. Sprich: Man benutze den korrekten Vordruck. Kein Formular für das Anliegen vorhanden? – Keine Wunscherfüllung.

Die Evangelischen hingegen, erklärte mir dieselbe Person, die dürften das, nein, die müssten sich sogar direkt an den himmlischen Vater wenden! Feige Umwege über vermittelnde Zwischeninstanzen gibt es für sie nicht. „Das wär ja sonst so, wie wenn man durch die Mutter ein gutes Wort beim Vater einlegen lassen müsste, weil man sich selber nicht traut“, illustriert sie. Auch verständlich! Aber wer hat nun recht?

Ach - wie das Thema überhaupt aufkam? Denn wer spricht schon über die Art, wie er mit dem Herrgott spricht... Nun, in meinem Glossenbuch richte ich mich manchmal direkt an den „lieben Gott“. Respektvoll, gewiss, aber in der Sprache frisch und frei von der Leber weg, ohne steife Floskeln. Wie an einen Vater eben – aber nicht als Rotzgör, sondern als Erwachsene, auf Augenhöhe, wissend, dass er mich ernst nimmt und nicht gleich bei jeder Dummheit droht, mir den Hintern zu versohlen. Sondern mich weise selber ausbaden lässt, was ich mir eingebrockt habe... Nicht im Entferntesten wäre ich auf die Idee gekommen, dass meine naive Zwiesprache mit Gott in den Augen anderer blasphemisch wirken könnte!

Auch, dass der Herrgott für mich kleinen Wurm gerade keine Zeit haben könnte, scheint mir ausgeschlossen. Hat er nicht höchstpersönlich die Raumzeit erschaffen? Dann kann er da doch rein- und rausschlüpfen wie er gerade Lust hat. Und somit hat er IMMER für ALLE und ALLES Zeit, und dies auch noch gleichzeitig, alles bloß eine Frage der Perspektive. Und wenn er sich schon die Mühe gemacht hat, uns Menschen in diese Spielwiese hineinzusetzen – na, dann werden wir ihm doch wohl auch wichtig sein! Wenigstens so wie eine hübsche, handgetöpferte Vase, die man auf die Fensterbank stellt und hin und wieder mit Blumen schmückt – nicht wie ein Nasenpopel, den man achtlos wegschnippt.

Hoffe ich doch! Glaube ich zumindest.

Als Bestätigung kommt ja immer wieder einiges Gute von dort oben bei mir an! So mancher spontane Ein-fall, so mancher verblüffende Aha-Effekt oder ein gelungener Artikel, der etwas bewirkt oder jemanden mitten ins Herz trifft, wonach ich mich dann ungläubig frage, ob ich den wirklich selber geschrieben habe - oder habe ich nur im meditativen Flow den Kanal weit genug aufgemacht?
Als Physikerin hat mich Gott stets mit Ideen inspiriert, wenn ich versuchte, die Welt zu verstehen. Heute tut er es vor allem, wenn ich schreibe. Schreiben – das öffnet meinen Kanal. Ein leeres Blatt Papier ist wie eine Tür zu einer – seiner – Wunderwelt!

Und die Konversation funktioniert in beide Richtungen: Von unten nach oben durch den Kanal „Gebet“ – und von oben nach unten, durch den Kanal des meditativen Seelenzustandes, den es braucht, um empfangsbereit zu sein. Man muss den Sendekanal nur offenhalten, sonst bleibt die Botschaft stecken. Wer kennt das nicht: Wenn man nervös, ängstlich oder verzweifelt ist, dann kommt gar nichts von oben durch! Dann ist der Kanal, das Türchen dazu, einfach sowas von ZU – und zwar von meiner Seite her. Der Herrgott zwingt uns schließlich nicht, auf ihn zu hören. Hat er uns nicht den freien Willen geschenkt?

Es braucht außerdem eine gewisse Leichtigkeit. Kleine Wünsche, die man spontan abschickt, ohne verbissen auf das Ergebnis zu warten, erfüllen sich oft erstaunlich schnell. Je verkrampfter wir uns wichtig nehmen, je verzweifelter etwas durchgedrückt werden soll, umso verstopftere Ohren haben die da oben! Und so ist mir diese Lockerheit in der Konversation mit Gott, für die ich keinen bestimmten Ort brauche - es geht im Garten, am Herd, unterm Sternenhimmel - lieb und teuer.

Würde ich so oft und innig Zwiesprache halten, wenn ich mich formvollendet und über Zwischenboten an IHN wenden müsste?

Tja, und wenn er schon mit mir – als Physikerin, Journalistin, Ehefrau, egal in welcher Rolle, aber eben als FRAU – offenbar bereitwillig kommuniziert, dann muss das doch umsomehr für jene Frauen gelten, die sich für diese Art Konversation als Lebensaufgabe berufen fühlen: für Pfarrerinnen, die seine Botschaften empfangen wollen, um sie gezielt an die Menschen weiterzugeben. Die sie ihnen übersetzen, nahebringen, ihnen helfen, den Kanal zu ihm selbst zu öffnen - in der Predigt, in der Liturgie, in der Seelsorge, im Gebet. 

Warum das wichtig ist?

Weil Gott durch uns ALLE in die Welt strahlen kann, wenn der Kanal offen ist! Und Kanäle gibt es viele: Manchmal spürt man sein Strahlen aus jedem Tautropfen, aus jeder Blume, jedem noch so winzigen Insekt – aus allem, was schön oder faszinierend ist. Und natürlich aus anderen Menschen: geliebten Menschen, vor allem. Aber auch aus Menschen, denen man im Alltag begegnet und denen man nicht so offen sagen kann, dass man sie „liebt“, weil unsere Konventionen das verbieten.

Und so strahlen wir uns gegenseitig an, aber eigentlich strahlt Gott uns an, strahlt dabei auch sich an – und wir ihn! Wir beobachten uns gegenseitig, und wenn wir das richtig tun, mit offenem Kanal, dann sehen wir im anderen Menschen Gottes Licht am Ende des Tunnels durchschimmern.

Das zu spüren ist, was ich als GLÜCK(lichsein) bezeichnen würde! Als wahres, tiefes, dauerhaftes Hintergrundglück – nicht das kurze aufschäumende Glücksgefühl, das man erlebt, wenn man sich gerade ein tolles Auto gekauft oder einen Preis erhalten hat. Und ist es nicht Glück, was wir alle suchen?

Diese wunderbare Erkenntnis führt jedenfalls dazu, dass ich Gott viel häufiger danke als ihn um etwas zu bitten. Mein ganzes DENKEN transformiert sich, wenn ich mit Gott so zwanglos kommuniziere, in ein einziges großes DANKEN.

Und da, liebe Heilige, liebe Maria, da mögt ihr mir jetzt bitte vergeben: so etwas geht halt nur direkt! Das innige, spontane Um-den-Hals-Fallen hat einfach eine ganz andere Kraft als die auf formellem Postweg zugestellte Dankeskarte...

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Nina May, geb. 1965 in Linz an der Donau, Diplom-Physikerin, sagte 2008 dem deutschen Staatsdienst ade und zog als „Aussteigerin“ nach Rumänien, um in Siebenbürgen ein einfaches Dasein auf dem Land zu leben. Bis ihr rumänischer Ehemann, der „Göttergatte“ ihrer 2024 als Buch erschienenen Rumänien-Glossen („Das gibt‘s doch gar nicht! Die Walachei ist nicht im Nirgendwo, sondern mitten unter uns“, ISBN 978-3-86356-405-6, Pop Verlag, Ludwigsburg 2024), sie nach Bukarest entführte, wo sie seit 2011 als Journalistin und seit 2020 als Chefredakteurin der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien (ADZ)“ arbeitet.

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